The Wolf Among Us

von Andreas Veits

Bei The Wolf Among Us handelt es sich um ein Serial-Adventure-Game, das von dem Publisher TellTale Games veröffentlicht wird. Wie viele weitere Produktionen des amerikanischen Softwareentwicklers zeichnet sich auch dieses Spiel durch webserientypische Eigenschaften wie Narrativität, Fiktionalität, Serialität sowie das Internet als Ort der Erstveröffentlichung aus. Deshalb können The Wolf Among Us und vergleichbare TellTale Games, wie The Walking Dead oder Game of Thrones, als spezifische Form der interaktiven Webserie verstanden werden.

Handlung

In fünf Episoden wird die Geschichte um den Protagonisten Bigby Wolf erzählt, der als Sherriff in Fabletown ermittelt. Der Name des Stadtviertels von New York, in dem Bigby auf Verbrecherjagd geht, steht dabei symptomatisch für seine Bewohner.
In Fabletown wohnen nur Fabeltiere und auch der Protagonist selbst trägt seinen Nachnamen nicht ohne Grund. Bigby hat sich durch ein Zauberelixier namens „Glamour“ ein menschliches Anlitz verliehen. Unter dieser Fassade verbirgt sich jedoch die Märchenfigur des bösen Wolfs: Bigby Wolf hat nun dafür Sorge zu tragen, dass auch die anderen Fables in der Öffentlichkeit ein humanoides Antlitz tragen, um nicht die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen. Dies gilt z.B. für die Kröte Mr. Toad oder das kleine Schweinchen Collin, das bei Bigby zur Untermiete wohnt und dabei nicht müde wird zu betonen, dass Wolf nicht ganz unschuldig am Verlust seines alten Hauses sei. Doch schon zu Beginn der ersten Episode gerät Bigbys Arbeitsroutine gehörig durcheinander: Ein äußerst brutal vorgehender Serienkiller hat es auf die Fables abgesehen. Zudem wird Bigby im Verlauf der fünf Episoden immer weiter in ein Netz aus Intrigen verstrickt: Auch seine Partnerin Snow White wird ermordet aufgefunden, jedoch will man sie aber rätselhafterweise wenig später lebendig gesehen haben...

Produktion und Distribution

The Wolf Among Us wurde vom amerikanischen Software-Studio TellTale Games entwickelt. TellTale Games ist in jüngster Vergangenheit besonders für seine episodischen Titel bekannt geworden, die über Online-Plattformen wie Steam, iTunes, Playstation Network oder Xbox Live veröffentlicht worden sind. Die einzelnen Folgen der Webserien müssen dabei von der entsprechenden Plattform heruntergeladen und auf einem Speichermedium gesichert werden. The Wolf Among Us basiert auf der TellTale-Tool-Engine, die von dem Entwickler für nahezu alle seiner Produktionen verwendet worden sind.
TellTale orientiert sich bei der Produktion seiner episodischen Titel stark an den Veröffentlichungsformen von Web- und TV-Serien. Die einzelnen Folgen einer Tell-Tale-Produktion werden als „Episodes“ benannt, die zusammengenommen jeweils eine Season bilden. Diese Strategie stellt im Bereich der Computer- und Videospielbranche, in der TellTale tätig ist, eine Innovation da: Der Entwickler legt seinen Schwerpunkt auf Aspekte des seriellen Erzählens und ‚übersetzt’ zu diesem Zweck etablierte Strukturen aus TV-Serien oder Comic-Reihen in seine Produktionen. TellTale setzt dabei in erster Linie auf spannende Narrative, die den Kunden in Form der interaktiven Titel angeboten werden, und weniger auf Aspekte des Gameplays oder der Grafik, die bei vielen aktuellen Computer- und Videogames im Vordergrund stehen.

Ästhetik

Bei The Wolf Among Us handelt es sich um ein Prequel zur erfolgreichen Comic-Serie Fables, die fortlaufend seit 2012 im Vertigo-Imprint von DC Comics veröffentlich wurde. Comics und interaktive Webserie spielen dabei in derselben Storyworld; so treten verschiedene Charaktere aus The Wolf Among Us auch in den Comics auf und die Ereignisse der Webserie werden auch als Comic veröffentlicht.
Die intermedialen Bezüge spiegeln sich nicht nur in der Anlage der Geschichte wieder, auch die Darstellungsweise nimmt stark auf die Ästhetik der Comic-Serie Bezug. So wurden die gerenderten Figuren und Objekte durch eine spezielle Animations-Technik (Cell-Shading) mit einer dunklen Konturierung versehen, sodass die fiktionale Welt – trotz ihres dreidimensionalen Charakters – immer noch wie gezeichnet wirkt. Vergleichbares gilt auch für den extrem reduziertem Detailgrad, in dem der Stadtteil Fable Town dargestellt wird. Hier wird die Ästhetik des Comics aufgegriffen, indem auf fotorealistische Texturen verzichtet wird.
Auch der seriellen Struktur von The Wolf Among Us ist die intermediale Verwandtschaft mit der seriellen Publikationsform des Comics deutlich wieder zu erkennen.

Abbildung: Screenshot aus The Wolf Among Us


Narrative Struktur

Genau wie die Fable-Comics bietet auch die Webserie eine folgenübergreifende Handlung. Bigbys Detektivarbeit wird auf insgesamt fünf Episoden aufgeteilt, die alle mit einem großen Cliffhanger enden. Zudem wird dem User – ganz in der Tradition des populären seriellen Erzählens in Comic, TV oder Webserie – ein Ausblick/Rückblick auf die spannenden Entwicklungen der nächsten/letzten Episode gewährt, die am Ende bzw. zu Beginn der jeweiligen Basishandlung eingeschoben wird.
Die allgemeine Handlungsstruktur von The Wolf Among Us kann als non-linear beschrieben werden: Es existieren feststehende Ereignisse und Handlungsfolgen, die je nach Entscheidung des Users (siehe „Interaktivität“) abgerufen werden. Somit ergeben sich unterschiedliche Mikroebenen der Handlung, die je nach Entscheidung des Spielers variieren können, sowie eine feststehende Makroebene der Handlung, auf die der User keinen Einfluss hat und die somit den feststehenden Kern der Erzählung darstellt.
Wie bereits angedeutet, wird die Serie The Wolf Among Us nicht als Webserie, sondern als „Serial Adventure Game“ vermarktet. Dementsprechend muss berücksichtigt werden, dass neben narrativen Elementen vor allem interaktive Momente eine zentrale Rolle bei der Rezeption spielen. Trotzdem sind die narrativen Strukturen so deutlich ausgeprägt, dass man in diesem Fall noch von einer (interaktiven) Webserie sprechen kann:
Das Spielprinzip der Serie orientiert sich an klassischen Point-and-Click-Adventure-Games: Der User hat die Möglichkeit, den Protagonisten Bigby durch die fiktionale Welt von Fable Town zu ‚steuern’. Das interaktive Potential, verstanden als Möglichkeit der nutzerbezogenen Partizipation, ist im Vergleich zu vielen aktuellen Spielen wie GTA VI oder Assassin’s Creed Unity jedoch relativ gering: Während der User seinen Avatar in den genannten Games durch eine graduell offene Spielwelt navigiert, die relativ frei erkundet werden kann und in der auch hinsichtlich der chronologischen Reihenfolge und den Lösungswegen spezifischer Aufgaben viele Freiräume gelassen werden, schlägt The Wolf Among Us einen eher gegenteiligen Weg ein: Der User kann den Protagonisten keinesfalls frei durch die Stadt bewegen, denn die Handlung zentriert sich jeweils auf sehr kleinteilige Spielareale, die nur wenig Bewegungsfreiheit zulassen. Häufig kann Wolf tatsächlich nur in eine bestimmte Richtung navigiert werden, um mit der Handlung fortzufahren, ohne dass es eine Alternative zu diesem Vorgehen geben würde. Auch die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Avatar und der Welt des Spiels sind äußerst reduziert. So werden bestimmte Gegenstände, die für Wolf von Interesse sind, durch visuelle Marker hervorgehoben und können vom User ‚aktiviert‘ werden. In vielen Fällen öffnet sich anschließend ein Menü mit verschiedenen Aktionsmöglichkeiten.
Diese Entscheidungsmöglichkeiten, durch die der User in spezifischen Situationen auswählen kann, wie Wolf sich gegenüber bestimmten Figuren/Objekten äußern oder verhalten soll, stellen den Kern des interaktiven Anteils der Serie dar. Zu Beginn jeder Episode wird der User deshalb darauf hingewiesen: „This game series adapts to the choices you make. The story is tailorded by how you play“. Inwiefern sich das Spiel jedoch tatsächlich der Spielweise des Spielers anpasst, bleibt zumindest fraglich: Denn wie bereits erwähnt, besteht der interaktive Anteil der Serie zum Großteil aus Entscheidungssequenzen, in denen der User darüber verfügen kann, inwiefern Wolf eine bestimmte vorhergegebene, aus verschiedenen Alternativen auswählbare Handlung ausführt oder eine zuvor ausgewählte Frage oder Antwort an eine der Spielfiguren weitergibt. Tatsächlich ergeben sich jedoch aus der größten Zahl der Entscheidungen nur geringe Unterschiede für die Entwicklung der Basishandlung. Dementsprechend lassen sich zwischen Entscheidungen mit größerem Einfluss auf die Fortentwicklung sowie Entscheidungen mit weniger bis minimalen Auswirkungen auf die Handlung unterscheiden:
In der ersten Episode erhält Bigby beispielsweise einen Anruf von Mr. Toad, weil dieser einen Einbrecher in seinem Haus vermutet.
An dieser Stelle stellt die Serie den User vor die Entscheidung, Wolf entweder (A) Toad sofort aufsuchen zu lassen, um nach dem Rechten zu sehen, oder (B) die Figur Prince Lawrence verhören und diesem vom gewaltsamen Tod seiner Frau Faith berichten zu lassen. Diese Entscheidung hat tatsächlichen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen: Wenn der User der Variante A) nachgeht, zwingt die Serie Wolf, nachdem er mit Toad gesprochen hat, das Apartment von Sir Lawrence aufsuchen, wo er diesen tot auffindet.
Entscheidet sich der User für Variante B), trifft Bigby Lawrence in dessen Wohnung lebendig an. Je nachdem ob Variante A) oder B) gewählt wird, erhält die Nebenfigur von Prince Lawrence somit einen etwas größeren oder kleineren Anteil an der Handlung.
Unabhängig von der Entscheidung des Users für Variante A) oder B) ist jedoch immer das Verhör mit Toad zu führen, welches unabhängig vom weiteren Aktionen des Spielers stets zu einem nahezu identischen Ergebnis führt: So hat Bigby beispielsweise im Verhör von Toad die Möglichkeit, an verschiedenen Stellen mehr oder weniger aggressiv vorzugehen. Unabhängig, wie er sich entscheidet, ergibt sich jedoch dasselbe Resultat: Toad gesteht ein, Wolf in Bezug auf den Einbrecher nicht die volle Wahrheit gesagt zu haben. Entscheidungen mit weniger großem Gewicht für die Entwicklung der Geschichte finden sich somit in zahllosen Antwort- und Verhörmöglichkeiten betreffend der Bewohner von Fabletown, wohingegen Interaktionsmöglichkeiten mit einem größeren Einfluss vergleichsweise wenig vorhanden zu sein scheinen.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Entscheidungen des Spielers in begrenztem Umfang Einfluss auf die fortlaufende Handlung haben. Im Gegensatz zu Open-World-Spielen ist dabei der Anteil an determinierten, narrativen Ereignissen jedoch enorm hoch. In Anlehnung an Thon (2007) [PDF] sind als narrative Ereignisse Zustandsveränderungen zu verstehen, denen innerhalb der fiktionalen Welt ein bestimmter Ereigniswert zukommt und die zum Zeitpunkt der Rezeption bereits determiniert sind: „Der Unterschied zwischen narrativen und ludischen Ereignissen besteht darin, dass ein narratives Ereignis bereits im Programmcode festgelegt ist, während ein ludisches Ereignis erst im Spielverlauf (...) berechnet wird.“ The Wolf Among Us wird offensichtlich durch derartige narrative Ereignisse dominiert. Denn auch wenn der User an vielen Punkten des Spiels wichtige Entscheidungen treffen kann, sind diese bereits zum Zeitpunkt der Rezeption vorherbestimmt, weil sie durch die Serie vorgegeben werden und im Rahmen des Programmcodes mit weiteren festgeschriebenen narrativen Ereignissen verknüpft sind.
Der interaktive Anteil des Spiels erinnert somit entfernt an Hypertexte oder sogenannte Gamebooks, die einen narrativen Text in bestimmte Segmente einteilen, um den Leser an bestimmten Textstellen zu Entscheidungen bezüglich der Handlungsentwicklung zu zwingen. Je nachdem, wie sich der Leser entscheidet, setzt er seine Lektüre dann in einem anderen Abschnitt des Textes fort. Genau wie in The Wolf Among Us ist in vielen Hypertexten oder Gamebooks nicht nur der Grad der Entscheidungsfreiheit, sondern auch die Zahl der Entscheidungen begrenzt, um es dem Produzenten/Autoren zu ermöglichen, eine stringente Geschichte zu erzählen: „So kann der Spieler (...) zwar großen Einfluss auf die Abfolge vieler narrativer Ereignisse nehmen, jedoch ist trotzdem eine unabänderliche Abfolge von (...) bestimmten narrativen Ereignissen im Programmcode festgelegt. Die Nonlinearität ist nur (...) bis zu einem gewissen Grad gegeben“ (Thon 2007 [PDF]).

Angaben

Staffeln: 1
Episoden: 5
Episodenlänge: ca. 2 Stunden.
Erscheinungsrhythmus: Alle zwei bis drei Monate (Oktober 2013 bis Juli 2014)
Zuerst gezeigt auf: The Playstation Network, XboxLive
Regie: Nick Herman, Dennis Lenart
Drehbuch: Dan Martin, Pierre Shorette, Bill Willingham
Produktionsfirma: DC Entertainment, TellTale Games, Warner Bros. Interactive Entertainment (WBIE)
Jahr: 2012-2014
Genre: Drama, Horror


Abrufbar unter:

http://www.telltalegames.com/thewolfamongus/
(Zugriff: 26.08.2020)


Sonstige Quellen

Jan-Noël Thon (2007): „Schauplätze und Ereignisse. Über Erzähltechniken im Computerspiel des 21. Jahrhunderts.“ In: Corinna Müller/Irina Scheidgen (Hg.): Mediale Ordnungen. Erzählen, Archivieren, Beschreiben. Marburg: Schüren. S. 40-55.
TellTale Games (Offizielle Webseite)
'The Wolf Among Us' season one review (The Verge) (nicht verfügbar)
Playthrough / Let’s Play von NukemDukem (Youtube)

(Lezter Zugriff jeweils: 26.08.2020)

(Andreas Veits, 29.04.2015)