Alles Liebe, Annette


von Andreas Veits // 


In der Webserie Alles Liebe, Annette geht es um die 18-jährige Annette Hülshoff, dargestellt von der Schauspielerin Barbara Prakopenka. Die Webserie spielt dabei selbstreflexiv mit ihrem Status als fiktionale Erzählung, ihrer Selbstinszenierung als authentischer Videoblog sowie biographischen Referenzen. Bei der Produktion des im Dezember 2016 gestarteten Jugendsenders Funk handelt es sich um eine sehr freie Adaption des Lebens der bekannten deutschsprachigen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewirkt hat. Biografische Bezüge zum Leben der Dichterin werden collagenartig neu angeordnet und spiegeln sich in einzelnen Figurenanlagen oder Konstellationen der Handlung; die eigentliche Erzählung jedoch ist in die Gegenwart ‚übersetzt’.

Abbildung: Screenshot aus Alles Liebe, Annette.


Anmerkung

Im Mittelpunkt der Handlung steht die 18-jährige Annette Hülshoff, die in einem Dorf nahe Halle an der Saale aufgewachsen ist. Annette träumt davon, Schriftstellerin zu werden.
Um mit ihrer potentiellen Leserschaft in Kontakt zu treten, erstellt sie einen Videoblog in dem sie tagebuchartig über ihren Alltag berichtet. Diese Videoclips bilden die einzelnen Episoden der Webserie. Die Handlung beginnt mit dem Auszug von Annette aus dem Haus ihrer Eltern. Kurzerhand zieht Annette in eine Wohngemeinschaft mit ihrer Freundin Maria.
Im Verlauf der Handlung kommen noch weitere Mitbewohner hinzu, etwa der zurückhaltende Jurastudent Henry oder der Musiker Arne. Letztgenannter ist in der fiktionalen Welt der Webserie ein aufstrebender Pop-Star, der insbesondere bei jungen Mädchen beliebt zu sein scheint. Im weiteren Verlauf der Geschichte entspinnt sich eine komplexe ‚Dreiecks-Beziehung’ zwischen Annette und Arne bzw. Henry.
Die Erzählhaltung der Webserie kann dabei als ‚pseudo-authentisch’ bezeichnet werden: wiederholt wird mit ästhetischen und narrativen Strukturen gespielt, die die Illusion der Privatheit von Annettes Videoblog durch inszenierte Unprofessionalität betonen. Diese ‚Fehler’ oder produktionsbezogene Unsauberkeiten werden dabei nicht herausgeschnitten, sondern ganz bewusst als Authentifizierungsstrategie eingesetzt:
So verstellt Annette etwa ihre feststehende Kamera mitten in einem Videoblog, um einen geeigneteren Kamerawinkel zu finden, oder korrigiert wiederholt sprachliche Aussagen, welche sie als nicht exakt genug formuliert empfindet.
Interessanterweise gibt es jedoch auch verschiedene Inszenierungsstrategien, die den eindeutig fiktionalen Status der Webserie zumindest temporär in den Vordergrund treten lassen.
In der zweiten Folge nutzt Annette ihren Computer, um mit ihrer Freundin Maria per Videokonferenz zu chatten. Maria befindet sich dabei in Halle, Annette hingegen im Haus ihrer Eltern, einige Kilometer von Maria entfernt. Abwechselnd sehen wir Annette, wie sie von ihrer Webcam gefilmt wird, und den Blick auf ihren Monitor, auf dem Maria zu sehen ist. Plötzlich jedoch steht Maria leibhaftig in Annettes Zimmer. Annette erscheint deswegen verwirrt zu sein: wie kann Maria, die gerade noch in Halle war, plötzlich in ihrer Wohnung sein? In der Webserie wird keine Antwort auf diese Frage gegeben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Rezipienten, im Abgleich mit ihrem Weltwissen, zu dem Ergebnis kommen, dass eine derartige metaleptische Überbrückung von Raum und Zeit unter Berücksichtigung der physikalischen Gesetze nur in fiktionalen Artefakten möglich ist.
Alles Liebe, Annette kann somit als eine der interessantesten deutschsprachigen Webserien des Jahres 2017 bezeichnet werden. Zwar lassen sich weder die Inszenierung als Videoblog noch die Nutzbarmachung literarischer Motive als Innovation werten, trotzdem kann die Webserie durch die vermittelte Geschichte und aufgrund der sehr guten Besetzung überzeugen.


Angaben

Staffeln: 1
Episoden: 100
Episodenlänge: ca. 5 Minuten
Zuerst gezeigt auf: YouTube
Produktion: Bastei Media im Auftrag von Funk
Jahr: 2016-2017
Genre: Soap, WG-Webserie


Abrufbar unter: 

YouTube


(Andreas Veits, 17.10.2017)