Wishlist


von Jurij Abegg und Markus Kuhn // 


Das Mobiltelefon ist in der mediatisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu einer Art sekundärem Intellekt des Individuums avanciert. Kognitive und kommunikative Prozesse werden zunehmend von Software-Applikationen des Smartphones übernommen (vgl. Eble 2014, 117 ff.), die viele Besitzer mittlerweile als unersetzbar empfinden. Diese Evolution digitaler Kompetenz wird in der für das digitale Jugendangebot funk produzierten Webserie Wishlist aufgegriffen und weitergetrieben. Denn dort erfüllt die titelgebende App „Wishlist“ auch außergewöhnliche Träume und Wünsche ihrer jeweiligen Benutzer. Doch gilt es für deren Erfüllung – im Sinne eines marktökonomischen Prinzips –, zunächst eine von der Wishlist-App berechnete Aufgabe erfolgreich zu absolvieren.


Abbildung: Screenshot aus Wishlist.

In der Monotonie des Alltags ‚verfangen‘, macht die junge Einzelgängerin Mira die ‚Probe aufs Exempel‘: Sie wünscht sich – nur so aus Spaß – einen rosa (Stoff-) Elefanten, welchen sie nach Erledigung der ihr gestellten einfachen Aufgabe – einige Mülltonnen vor die Tür stellen – ihren Erwartungen zum Trotz in ihrem Zimmer vorfindet. Auch wenn Mira an der Nutzung der sich mehr oder minder autonom in der Smartphone-Umgebung implementierenden Wishlist-App schnell Gefallen findet, so beginnt sie doch Funktionsweise und Hintergründe derselben infrage zu stellen. Denn je größer die Wünsche werden, desto ethisch und moralisch fragwürdiger werden die Aufgaben. Mit ihrem investigativen Willen, ihrer lässig-zwanglosen, alternativen Art gelingt es Mira, eine Gruppe weiterer Nutzer der Wishlist-App, die sie an einem über Wishlist gewünschten „richtig fetten Abend“ kennenlernt, für sich zu gewinnen. Im Verlauf der ersten Staffel wachsen die sich nahezu prototypisch ergänzenden Charaktere zu einem hochdynamischen Team zusammen: Mira (intelligent, kreativ, ungezwungen), Casper (ernsthaft, verlässlich, mutig), Dustin (lieb, aber zunehmend undurchschaubar), Kim (cool, relaxed) und Janina (naiv, attraktiv, modebewusst) sind gewillt, zusammen das Geheimnis um die Wishlist-App zu lüften. Denn es scheint kein Zufall zu sein, dass die öffentliche Ordnung allmählich aus dem Gleichgewicht gerät. Je näher sie dem Mysterium der App kommen, desto mehr geraten sie selbst in Gefahr.

Bleibt ‚das Universum‘, das sich hinter der Wishlist-App verbirgt, während der ersten Staffel weitgehend unpersonalisiert und ungreifbar – eine geheimnisvolle Leerstelle bzw. eine rein virtuelle Instanz –, spitzt sich die Handlung in der zweiten Staffel mehr und mehr zu einem Konflikt zweier kollektiver Gegenspieler zu: dem Team rund um Mira und der sich zunehmend personalisierenden Gruppe der Wishlist-Betreiber.


Ästhetik

Es ist die Auseinandersetzung mit dem unbekannten Fremden, dem Metaphysischen im Zeitalter des Digitalen, in Gestalt einer übermächtigen Smartphone-Applikation, welche den Nährboden für den charakteristischen, spannungsgeladenen, mystischen Duktus der Webserie Wishlist (in der ersten Staffel) bildet. Vergleichbar ist diese Handlungskonstellation durchaus mit den großen, zumeist religiös geprägten Auseinandersetzungen der Menschheit mit dem Übernatürlichen und den Bedingungen ihres Seins, aus der eine Vielzahl entsprechender medialer Artefakte hervorgegangen ist (vgl. Erdheim 1984, 151 ff.; vgl. Käuser 2013, 141 ff.). Mit Blick auf die Geschichte audiovisueller Produktionen kann beispielsweise das filmische Epos 2001: A Space Odyssey (GB/USA 1968, Stanley Kubrick) herangezogen werden. Geradezu paradigmatisch stehen hier künstlich-übersinnliche Intelligenz – repräsentiert durch die kreisförmige Sprachbedienungsoberfläche eines Bordcomputers (durchaus vergleichbar mit der Gestaltung der App in Wishlist) – und menschliches Urteil im Widerstreit. So sehr sich die Webserie Wishlist vor diesem Hintergrund als thematische Replik offenbaren mag, so sehr trägt sie in der Hinwendung zur smartphonegeprägten Generation Z zu einer zeitgemäßen Aktualisierung dieses Themenkomplexes bei.

Es ist genau die auf diesen mythisch aufgeladenen Erzählungen basierende Spannung der Webserie, die in der zunehmend deutlich werdenden Souveränität der übernatürlich scheinenden Software eine permanente Bedrohung schafft. Letzteres findet in der kontrastreichen, dunkle Bereiche des Kaders betonenden Lichtsetzung (low key), den entsättigten Farbflächen, den bedächtigen Kamerafahrten und den pointierten Groß- und Detailaufnahmen seine visuelle Entsprechung und symbolische Überhöhung. Zugleich bilden derartige Groß- und Detaileinstellungen eine Projektionsfläche für die Gefühlslagen der handelnden Figuren. Und in der Gegenüberstellung dieser Groß- und Detaileinstellungen mit den durch computergenerierte Bild- und Lichteffekte synthetisierten Panorama-Aufnahmen wird der Gegensatz von Menschlichem und Übersinnlich-Technischem einmal mehr formal widergespiegelt. Schließlich werden die emotionale Verfassung der Figuren und der Eindruck permanenter Bedrohung auch mittels elektronisch-pulsierender, sich verdichtender Klangflächen in tiefen Frequenzbereichen physisch-auditiv erfahrbar gemacht. Mitunter basieren diese Klangflächen auf der Verfremdung von akustischen Instrumenten (wie z. B. Klavier und E-Gitarre). Wenn sich in der Titelmusik ein stetiger Wechsel von schillernd-klarer und trüber Tonfarbe in eine solche Klangfläche einbettet, so scheint sich abermals der zentrale Konflikt (Mensch versus technische Apparatur) anzudeuten.

Insgesamt eröffnet diese beinahe schon manieristische Ästhetik der im Alltagsgeschehen fußenden, teilweise recht durchschaubaren Handlungsstruktur rund um die fünf Jugendlichen auf ‚Abenteuerreise‘ ein dichtes Netz symbolischer Bezüge. Sie steht in Spannung zur omnipräsenten Präsentation sämtlicher Social-Web-Kommunikation in Form von über das Bild geblendeten Screen-Inserts, die den typischen Smartphone-App-Ansichten gleichen und der Ästhetik eine weitere Dimension verleihen (s.u.).

In der zweiten Staffel korrespondiert die symbolisch aufgeladene Ästhetik mit einem anderen klassischen Handlungsmotiv mythischer Überhöhung: der Versuchung von Allmacht und Entgrenzung, dem faustischen Pakt mit dem Bösen, wobei hier die Korrespondenz zwischen Form und Inhalt nicht derart eng vernetzt ist wie in der ersten Staffel.


Dramaturgie und narrative Struktur

Wishlist ist als serial konzipiert, dessen einzelne Episoden eine dreiteilige Struktur aufweisen. Die linear-chronologische Präsentation des Grundgeschehens wird von einem Prolog und einem Finalereignis in Form eines Cliffhangers gerahmt. Nur gelegentlich wird das Grundgeschehen durch metadiegetische Erzählebenen (wie beispielsweise die Repräsentation der Imagination einer Figur) oder audiovisuelle Analepsen (Rückblicke) unterbrochen. Sowohl der Prolog als auch das Finalereignis stehen nicht selten in räumlicher und/oder zeitlicher – mitunter marginaler – Distanz zum Grundgeschehen, welche in den nachfolgenden Episoden aufgelöst wird. Insofern schaltet die Serie auf kürzestem Raum zwischen Prolepse und Analepse (Voraus- und Rückblick) hin und her – eine durchaus komplexe Zeitstruktur, die aber eindeutig markiert ist und die unmittelbare Rezeption nicht erschwert. Während der Prolog durch den zwischengeschalteten Vorspann vom Grundgeschehen abgegrenzt ist, geht das Finalereignis unmittelbar aus dem Grundgeschehen hervor und mündet in den Abspann. Diese Segmentierung ruft ein Informationsbedürfnis hervor, welches erst im Fortgang der Episoden gestillt wird. So werden die einzelnen Folgen seriell miteinander verzahnt und thematische Cliffhanger durch die formale Struktur verstärkt, was den Rezipienten förmlich an die Serie bindet.

Nicht zuletzt die überwiegend personale, der Protagonistin Mira zugeordnete Erzählperspektive vermag die Bindung zwischen dem Rezipienten und der Serie zu intensivieren. Auf diese Weise begleitet der Rezipient das Handeln, Denken und Fühlen von Mira aus nächster Nähe, wobei er gewissermaßen in einen Dialog mit der Figur tritt. Denn die Figur etabliert eine Face-to-face-Kommunikation mit dem Rezipienten, indem sie die Grenzen zwischen intradiegetischem und extratextuellem Raum in kurzen zielgerichteten Hinwendungen zum Kameraauge überwindet und dem Rezipienten jeweils ihre aktuellen Gedanken mitteilt. Diese in Abständen wiederkehrende Form filmischen Beiseitesprechens durch den Bruch der ‚vierten Wand‘ wird von den übrigen Figuren – wenn überhaupt – lediglich verwundert registriert. Auch das wiederkehrende Voice-Over der Figur Mira verstärkt diese Kommunikationskonstellation. Der Rezipient nimmt durch all diese Verfahren die Position eines ‚stillen Begleiters‘ der Protagonistin ein und wird so unmittelbar in das Geschehen involviert. (In der zweiten Staffel kommt als kontrastierende Perspektive die Sichtweise Dustins hinzu, auf den über weite Strecken der zweiten Staffel fokalisiert wird.)

Hinzu kommen die als einsehbare ‚Second Screens‘ in einen Teilbereich des Bildes eingeblendeten Bildschirmansichten von Smartphone-Anwendungen (wie typischen Messenger-Apps, Social-Media-Plattformen und der Wishlist-App) einschließlich der jeweils empfangenen und/oder getippten Texte, die mittlerweile zum Standard-Repertoire vieler Web- und On-Demand-Serien zählen. Da nicht nur sämtliche Figuren der Serie, sondern mutmaßlich auch die Zielgruppe permanent auf ihre Smartphone-Apps zurückgreifen, dürften auch durch dieses Verfahren viele Rezipienten ‚immersiv‘ in das Geschehen der Serie involviert werden. Nicht zuletzt dient die eingeblendete Smartphone-Kommunikation der Erzählökonomie.


Rezeption

Wishlist ist neben der Präsenz auf dem offiziellen Webportal des Jugendkanals funk (und der funk-App) auf verschiedenen Webplattformen vertreten und hat ein großes Publikum für sich gewinnen können (kumuliert mehr als vier Millionen Aufrufe, vgl. Film und Medienstiftung NRW 2017, 1). Gleichermaßen zeigt sich auch die Medienwelt von der Mystery-Serie mit Science-Fiction-Elementen weitestgehend begeistert – trotz der thematischen und schauspielerischen Überspanntheiten, auf die in einigen Kritiken verwiesen wird. Zahlreiche Preise, darunter den Grimme-Preis (http://www.grimme-preis.de/53-grimme-preis-2017/preistraeger/p/d/wishlist-rbmdrfunk-1/) sowie den Deutschen Fernsehpreis (http://www.deutscher-fernsehpreis.de/verleihung/preistraeger/preistraeger-2017/) gewann die Webserie in ihrem Erscheinungsjahr 2017. Vor diesem Hintergrund mag es wenig verwundern, dass die Webserie bereits Ende 2017 eine zweite Staffel bekam (erstveröffentlicht von Dezember 2017 bis April 2018). Eine dritte Staffel wird vorerst nicht produziert, ist von den Produzenten aber auf längere Sicht nicht ausgeschlossen. Um das Interesse am ‚Wishlist-Universum‘ zwischen den Staffeln aufrechtzuerhalten, ist über die Social-Media-Kanäle sukzessive Text-, Foto- und Videomaterial von der Arbeit hinter den Kulissen publiziert worden – wobei die Macher der Serie dabei auch den Wünschen des Publikums gefolgt sind, frei nach dem Motto der Wishlist-App: „Welchen Wunsch darf ich Dir erfüllen?“


Angaben

Staffeln: 2
Episoden: 10/12 (erste/zweite Staffel)
Episodenlänge: ca. 15–20 Minuten (erste Staffel); ca. 25–30 Minuten (zweite Staffel)
Erscheinungsrhythmus: wöchentlich
Zuerst gezeigt auf: YouTube und funk.net
Regie: Marc Schießer
Produktion: Outside The Club, Radio Bremen, MDR Sputnik im Auftrag für funk
Jahr: 2016


Abrufbar unter: 

https://www.funk.net/channel/wishlist-742/ (nicht mehr abrufbar) (Zugriff 10.09.2017)

Sonstige Quellen

2001: A Space Odyssey (GB/USA 1968, Stanley Kubrick)

Eble, Michael (2014): „Mobile Kommunikation und Social Web. Formen und Akteure im Kontext von Location-based Services“. In: Mobile Medien – Mobiles Leben. Neue Technologien, Mobilität und die mediatisierte Gesellschaft. Hrsg. von Thomas Bächle und Caja Thimm. Berlin u. a.: LIT (Bonner Beiträge zur Onlineforschung, 3), S. 117–142.

Erdheim, Mario (1984): „Kulturelle Elaboration und Abwehr von Angst“. In: Leitsymptom Angst. Hrsg. von Paul Götze. Berlin/Heidelberg: Springer, S. 151–158.

Film und Medienstiftung NRW (Hg.) (2017): ‚Wishlist‘: 2. Staffel geht online. Düsseldorf: Film und Medienstiftung NRW, S. 1, Online: https://www.filmstiftung.de/news/wishlist-2-staffel-geht-online/ (Zugriff 11.12.2018).

Käuser, Andreas (2013): „Medienkulturen der Angst. Einleitung. Angst, Medialität und Repräsentation“. In: Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Lars Koch. Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 141–147.

Wishlist (Facebook-Portal):
https://de-de.facebook.com/WishlistSerie/

Wishlist (YouTube-Portal): https://www.youtube.com/channel/UCwOvSO2kf7sm_ZQyi6_DL4w


(Jurij Abegg/Markus Kuhn, 23.01.2019)