Throwback 89


von Martha-Lotta Körber // 


Rostock, Herbst 1989: Die 17-jährige Nora Sommerfeld steht kurz vor ihrem Abitur und hofft, anschließend im DDR-Universitätssystem studieren zu dürfen, um irgendwann mal Meeresbiologin zu werden. Seit Kurzem hat sie einen festen Freund, Falk, der in einer Deutsch-Punkband spielt und als ‚Arbeitsscheuer‘ von seinen Eltern vor die Tür gesetzt wurde, was ihr große Sorgen bereitet. Noras beste Freundin Johanna ist mit ihrer Familie in den Sommerferien nach Ungarn geflohen, sodass sie nun niemanden mehr zum Reden hat und sich anderweitig mitteilen muss: (paradoxerweise) über Instagram-Stories.


Ästhetik und narrative Struktur

Throwback 89 besteht aus fiktiven Instagram-Stories, die im Smartphone-typischen 9:16-Format erzählt werden. Vom 19.10.2019 bis zum 09.11.2019 wurde auf dem Instagram-Kanal der Tagesschau täglich eine Story oder ein aus mehreren Stories bestehender Kurzclip veröffentlicht. Diese spielen exakt 30 Jahre zuvor, also in den drei Wochen, die dem Mauerfall vorausgingen. Die Webserie wird von der ARD auch als „Instagram-Tagebuch zum Mauerfall“ und die „Wende in der DDR aus Instagram-Perspektive“ beworben und orientiert sich entsprechend an der ab 2016 sukzessive integrierten Story-Funktion der populären Fotoplattform, die es ermöglicht, Bilder und/oder kurze Videos aneinanderzureihen und mit diversen Textbausteinen, Emojis und Stickern zu verknüpfen. Diese „Gleichzeitigkeit von grafischen und fotografischen Elementen hat eine Ästhetik hervorgebracht, die aus Poesie- oder Notizbüchern bekannt ist. Storys wirken dadurch fast immer gebastelt und […] nicht professionell“ (Kohout 2018, o. S.), was sie als poppige mediale Rahmung für das Teenager-Videotagebuch, das Throwback 89 ist, geradezu prädestiniert.


Abbildungen: Screenshots aus Throwback 89.

Nora tritt als Protagonistin und Urheberin der Videos auf und wendet sich meist direkt an eine/n extradiegetische/n Zuschauer*in. Dabei spricht sie in einer nahen oder halbnahen Selfie-Einstellung in die Kamera oder filmt in Handkamera-Ästhetik Erlebnisse und Gespräche mit ihren Eltern, ihrem Freund Falk oder Mitschüler*innen.
Die zu kurzen Episoden zusammengefassten ,Stories eines Tages‘ haben eine Länge von unter vier Minuten und bestehen dabei formattypisch aus aneinandergereihten Videoschnipseln, die einzelne Situationen im Leben von Nora an verschiedenen Locations dokumentieren, oder bestehen aus nur einer kurzen Story, die – wie es die Plattform Instagram vorgibt – als solche maximal 15 Sekunden lang ist. Ebenfalls formattypisch haben die einzelnen Stories keinen markanten Anfang oder ein Ende, sondern sind vielmehr von Unabgeschlossenheit und dem Effekt der Spontaneität gekennzeichnet.


Alte und Neue Medien

Throwback 89 ist dabei durchzogen von paradoxen Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen: Bei den Stories handelt es sich um logisch unmöglichen User-Generated Content, der sich im Rostock des Jahres 1989 verortet, aber gleichzeitig am Kommunikationsstil aktuellster Sozialer Medien orientiert. Trotzdem wird die Smartphone-Nutzung in der Serie selbst – abgesehen von der medialen Rahmung als Instagram-Story – nicht thematisiert. Ganz im Gegenteil: Die dargestellte Technologie bleibt merklich in 1989 verhaftet. Nora erhält Briefe von Johanna, die aus Ungarn berichtet, oder ein Päckchen von Falk, der ihr ein Kassettentape mit einem eigens für sie komponierten Liebeslied schickt. Ihre Eltern verfolgen die Tagesschau im Röhrenfernseher und Noras Mitschüler*innen lesen in der Schule gespannt in der gedruckten Zeitung, um die immer enger getakteten gravierenden politischen Ereignisse zu verfolgen.


Abbildungen: Screenshots aus Throwback 89.

Sowohl die unterschiedlichen Medialitäten, anachronistischen Materialitäten, als auch Nutzungspraktiken, sind ein roter Faden in Throwback 89, wobei die zeitgenössische Ausstattung weitgehend eine historische Authentizität suggeriert, trotz der paradoxen Erzählform als Instagram-Story, und so eine Art Retro-Ästhetik bedient. Die Intimität dieses für Neue Medien typischen Formats privatisiert die Webserie gleichzeitig und erzeugt mitunter eine empathische Nähe der Zuschauer*innen zu Protagonistin Nora.
Noras private Krisen spielen vor dem Hintergrund einer sich im Zerfall befindlichen DDR, was insbesondere durch Archivmaterial evident wird. Vielfach werden dabei Originalausschnitte aus den Nachrichtensendungen Aktuelle Kamera und der Tagesschau integriert, die etwa über den Rücktritt des Ministerrats um Erich Honecker, die anschließende kurze Amtszeit Egon Krenz und letztlich die Montagsdemonstrationen berichten.


Themen

Vergleichbar mit anderen Webserienprojekten, die sich historischen Stoffen annehmen (wie etwa Eva.Stories), geht es bei Throwback 89 merklich auch um den Versuch der ,immersiven‘ Geschichtsvermittlung und -bildung für Zuschauer*innen ohne unmittelbare Zeitzeugenschaft der thematisierten historischen Ereignisse. Zu diesem Zweck werden solche Themen herausgestellt, die eine gewisse Anschlussfähigkeit an das Jetzt haben oder aber ohnehin Dauerbrenner des Teenpics/Coming-of-Age-Genres sind: Umweltverschmutzung und Demonstrationen, Beziehungen und Liebeskummer, Probleme mit den Eltern, Genervtsein von der Schule und anderweitigen Verpflichtungen. Die Provokationen und Grenzüberschreitungen von Nora bewegen sich dabei allerdings in einem überschaubaren und vergleichsweise harmlosen Rahmen (zweitägiges Fernbleiben von der Schule) und sorgen an keiner Stelle für eine Eskalation der Meinungsverschiedenheiten mit ihren Eltern, geschweige denn für eine politische Verfolgung durch das DDR-Regime.  


Produktion und Medienumgebung

Begleitet wird die Story-Serie – sowohl auf einer eigenen Seite der Tagesschau als auch auf ihrem Instagramkanal – von kurzen Newsfeed-Videos, die den historischen Kontext liefern. Hierin werden Zusammenhänge und Hintergründe von Ereignissen geklärt, die in Throwback 89 am Rande thematisiert werden, wie etwa der ,Subbotnik‘, von dem Nora sichtlich genervt ist („Der Subbotnik ist ein in der Sowjetunion entstandener Begriff für freiwillige, kollektive und unentgeldliche Arbeit an einem Samstag. […]“).  
Die ARD beschreibt die Webserie als Experiment, das „Geschichte erlebbar“ machen und zur näheren Beschäftigung mit der deutsch-deutschen Teilung motivieren solle. Die Erzählung als Instagram-Story funktioniert dabei im Modus des ,als-ob‘ und möchte merklich eine junge Zielgruppe adressieren, welche die Produzent*innen nach eigenen Aussagen in Sozialen Netzwerken wähnen: „Wir nehmen euch in den tagesschau-Stories mit in den Herbst1989 – so, als ob es damals schon Instagram gegeben hätte. Erlebt mit der 17-jährigen Nora (Hanna Binke) die Zeit des Mauerfalls.“


Angaben

Staffeln: -
Episoden (Stories): 22 [bestehend aus teilweise einer einzelnen Story (von max. 15 Sek.), teilweise mehreren aneinandergeschnittenen Stories (von max. 4 Min.)]
Episodenlänge: <4 Min.
Erscheinungsrhythmus: täglich über einen Zeitraum von 22 Tagen
Zuerst gezeigt auf: Instagram
Regie/Produktion/Autor*innen: Social-Media-Redaktion der Tagesschau und Web-Video-Unit des NDR
Jahr: 2019


Abrufbar unter:

Auf ARD-eigener Seite: https://live.flyp.tv/g/throwback/index.html (Zugriff: 21.06.2020).

oder

Auf Instagram:





Forschungsliteratur

Kohout, Annekathrin (2018): Storys. Über ein Social-Media-Format. In: Pop. Kultur und Kritik, Herbst, Heft 13, S. 2229 und Pop-Zeitschrift (Onlineausgabe), https://pop-zeitschrift.de/2019/07/01/storysvon-annekathrin-kohout1-6-2019/ (Zugriff: 21.06.2020).


                   
Sonstige Quellen

ARD-aktuell (18. Oktober 2019): Der Mauerfall – digital erzählt, https://blog.tagesschau.de/2019/10/18/__trashed-7/ (Zugriff: 21.06.2020).



(Martha-Lotta Körber, 21.07.2020)