Druck
Bei Druck
handelt es sich um die deutsche Adaption der norwegischen Web- und Fernsehserie
Skam (NO 2015–2017, NRK). Im Mittelpunkt steht eine Berliner
Freundesclique, welche sich kurz vor Ende der Schulzeit mit verschiedenen
romantischen Verwicklungen, aber auch der individuellen Zukunftsplanung
auseinandersetzen muss.
Die Webserie Druck kommt
bisher auf fünf Staffeln. Die Fünfte, welche eine neue Generation an Figuren einführt, ist am 20.09.2020 auf YouTube gestartet.
Genre
Druck knüpft an Konventionen
des Coming-of-Age-Genres an. So stehen auch in der deutschen Adaption die erste
große Liebe, damit verbundene Hoffnungen und Zweifel, sexuelles Erwachen, die
Auflehnung gegen elterliche Autoritäten und die adoleszente Identitätssuche im
Vordergrund (vgl. Wegener 2011, 129 und Krauß/Stock 2020). Hanna, auf deren
Sichtweise und Handlungsmotivation sich die erste Staffel konzentriert, stellt
eine für das Genre typische, sinnsuchende Figur dar: Sie hinterfragt sich
selbst und ihr Verhältnis zu anderen, sucht einen ihr Sicherheit versprechenden
Platz in der Welt und macht im Laufe der Rahmenhandlung der ersten Staffel eine
signifikante Entwicklung durch. Auf dieser Reise zur Selbsterkenntnis
problematisiert sie ihre erste ernsthafte romantische Paarbeziehung, lernt, wem
sie auf freundschaftlicher Ebene vertrauen kann und was sie als Person
ausmacht. Speziell bei Hannas ersten partnerschaftlichen Erfahrungen verzichtet
die Serie auf eine romantisch-verklärende Inszenierung.
Auch
in der zweiten Staffel wird auf eine vertraute, genretypische
Figurenkonstellation gesetzt: Hier findet eine romantische Annäherung zwischen
dem wohlhabenden, zunächst arrogant und überheblich wirkenden Schönling
Alexander Hardenberg und der politisch-progressiv gezeichneten Mia Winter
statt. Trotz augenscheinlicher Gegensätze entwickelt sich langsam eine
konfliktbehaftete Liebesgeschichte. Die Diversitätsbestrebungen der Serie
zeigen sich am deutlichsten in der dritten Staffel, in welcher sich der von
einer religiösen Mutter erzogene Matteo in den transsexuellen David verliebt.
Hier unterscheidet sich die deutsche Adaption am deutlichsten von der
Originalserie, in der es keinen transsexuellen Charakter gibt. In der vierten
Staffel steht schließlich die Muslima Amira im Zentrum. Mit ihr wird das Thema
religiöse Identität, aber auch Alltagsrassismus in den Vordergrund gerückt. In
jeder Staffel werden also verschiedene gesellschaftspolitische, für Jugendliche
potentiell relevante Themen über variierende romantische Konstellationen
erzählt.
Verknüpft
mit dieser jeweiligen Zentrierung auf eine Hauptfigur je Staffel, liegt der
primäre Fokus in Druck ganz
grundsätzlich auf der Sichtbarmachung von universellen, mit dem Heranwachsen
verbundenen Krisenmomenten und Gefühlszuständen. Sie werden alltagsnah und ohne
große dramaturgische Überhöhungen geschildert. Während aktuell populäre
US-amerikanische Jugendserien wie 13
Reasons Why (Tote Mädchen lügen nicht, USA 2017–2020, Netflix) oder Riverdale (USA 2017–, The CW) sowie auch
die bisher bekannteste Funk-Produktion Wishlist
(D 2016–2018, Funk) das
Erwachsenwerden als bedrohlichen Ausnahmezustand inszenieren und
Coming-of-Age-Narrative mit Erzählkonventionen des Horror-, Crime-, oder
Thriller-Genres verbinden, setzt Druck weniger auf Dramatisierungen und
Grenzüberschreitungen. Vielmehr genügt schon eine nicht oder nur verzögert
beantwortete Textnachricht als dramatischer Konflikt.
Innovativ
ist Druck vor allem in der Darstellung und narrativen Integration von
digitalen Kommunikationsmedien. Die Figuren stehen untereinander über
Messenger-Dienste ständig in Kontakt, planen darüber Freizeitaktivitäten,
suchen im Internet nach Hilfestellungen für alltägliche Probleme und lassen
sich von populären Kampagnen wie #MeToo inspirieren. Druck ist
damit Teil einer Reihe aktueller Jugendserien (z.B. auch American Vandal
(USA 2017–2018, Netflix) und How to Sell Drugs Online (Fast) (D 2019–,
Netflix)), welche versuchen filmische Ausdrucksformen für die Mediatisierung
jugendlicher Lebenswelten zu finden.
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Abbildung: Screenshot aus Druck. |
Dramaturgie und Ästhetik
Dramaturgisch
verfolgt Druck einen unaufgeregten, auf das Innenleben der
Protagonist*innen und deren alltägliche Krisen konzentrierten Ansatz.
Geradlinig-horizontal wird eine übersichtliche Anzahl von Handlungssträngen
miteinander verknüpft, die sich jeweils innerhalb einer begrenzten Menge von
sozialen Settings (wie der Schule, dem Jugendzimmer oder variierenden Partys) ereignen.
In
jeder der vier Staffeln liegt der erzählerische Fokus auf der Entwicklung einer
Figur. Beiläufig wird in der Mise en Scène auch das erweiterte Figurenensemble
weiterhin eingebunden. Da Matteo und Mia zusammen in einer Wohngemeinschaft leben,
kann beispielsweise das romantische Drama zwischen Mia und Alexander in der
dritten Staffel im Hintergrund fortgeführt werden.
Die
Alltagswelt der Jugendlichen kann zweifellos als mediatisiert bezeichnet
werden: Eine Interaktion mittels Online-Medien und eine von Angesicht zu
Angesicht überlappen einander. Die Serie greift diese Kommunikation mittels
Sozialer Medien und dem Smartphone in ihrer Ästhetik auf, das Filmen von sich
selbst und anderen mit dem Handy ist ein selbstverständlicher Teil des Alltags
der Protagonist*innen. Einzelne Einstellungen suggerieren durch
intradiegetische Handykameras entstanden zu sein. Immer wieder sind eingeblendete
Textnachrichten zu lesen, die Emotionen verbalisieren, aber auch interpersonale
Konflikte offenlegen.
Die
Bildsprache wurde für die Rezeption am Smartphone entwickelt. So werden die
Hauptfiguren häufig in Nahaufnahmen gezeigt, der Fokus liegt hier auf den situativen
Empfindungen. Sehr stark wird in der Serie auf eine Ästhetik alltäglicher
adoleszenter Existenz gesetzt: In einzelnen Szenen werden immer wieder kleine
Alltagsmomente, wie das Sitzen am Schreibtisch, das Umherwandern im Zimmer oder
das Hören von Musik gezeigt.
Themen und Werte
Über
die verschiedenen interpersonalen Konflikte hinaus, behandelt die Serie immer
wieder aktuelle gesellschaftspolitische Themen. Die selbstsicher auftretende
und sich progressiv gebende Figur Mia, dient etwa dazu, weibliche Solidarität
und feministische Ideale zu verhandeln. In der zweiten Staffel wird sie auf
einer öffentlichen Toilette sexuell bedrängt, was in der Serie funktionalisiert
wird um zu demonstrieren, wie junge Frauen sich gegen Formen sexueller Gewalt
wehren können.
Besonders
in den ersten zwei Staffeln liegt der Schwerpunkt auf adoleszenter
Weiblichkeit. Neben Solidarität und
Freundschaft junger Frauen, thematisiert die Serie weibliche Sexualität– vor
allem über intime Gesprächssituationen, in denen die Freundinnen offen über
Verhütung, Masturbationserfahrungen, Nacktbilder im Internet und Penisgrößen
reden. So wird gerade das Sprechen über sexuelle Unsicherheiten und Vorlieben
enttabuisiert und als selbstverständlicher Teil weiblicher jugendlicher
Lebenswelten dargestellt.
Die
Präsenz der Hijab tragenden Muslima Amira führt zu wiederkehrenden
Auseinandersetzungen mit religiöser Identität, kultureller Vielfalt und
alltäglichen Ausgrenzungserfahrungen. Daneben macht die Figur der Kiki erste,
enttäuschende sexuelle Erfahrungen und hadert mit ihrem Aussehen, womit die
Serie den gefühlten sozialen Druck auf Heranwachsende (und nochmals in
besonderer Weise auf Mädchen) in einer übersexualisierten, auf Äußeres
fixierten Gesellschaft darstellt. Durch das Coming-Out-Narrativ in der zweiten
Staffel wird ein Blick auf sexuelle Orientierungssuche gelenkt. Zur Clique
gehört auch die Afrodeutsche Sam, die in den ersten vier Staffeln aber nur
selten über den Status der Sprüche klopfenden, lockeren Freundin hinauskommt. Druck schließt insgesamt aber an die
Diversitätsbestrebungen vieler zeitgenössischer US-Fernsehproduktionen an. Was in
der Serie größtenteils an den Rand gedrängt wird, sind Fragen schichtspezifischer
Zugehörigkeiten und wie sich diese auf die Bewältigung jugendlicher
Entwicklungsherausforderungen auswirken können.
Durch
die Verhandlung vieler Themen auf der individuellen Mikroebene und die
Fokussierung auf die emotionalen Zustände der Protagonist*innen, werden
grundlegendere strukturelle Probleme nicht angetastet. Im Vordergrund stehen
Jugendliche der ökonomisch abgesicherten deutschen Mittelschicht. Über die
Figur des Alexander Hardenberg wird zwar immer wieder angedeutet, wie eine ökonomisch
privilegierte Position berufliche Perspektiven verbessern kann, weiter verfolgt
wird dieses Thema aber nicht. Auch sonst leben die Hauptfiguren als
Schüler*innen in geräumigen Berliner Wohnungen oder wachsen in
Einfamilienhäusern am Stadtrand auf.
Die
Darstellung jugendlichen Erlebens erfolgt damit aus der Perspektive gut
behüteter Gymnasiast*innen, welche sich nur selten mit drängenden ökonomischen
Fragen beschäftigen müssen. In der Serie werden demnach Geschichten über das
Aufwachsen unter ganz spezifischen sozioökonomischen Bedingungen erzählt. In
Deutschland lebt rund ein Fünftel der jungen Menschen in finanziell und sozial
benachteiligten Familien (Albert/Hurrelmann/Guenzel 2019, 39). Diese finden
in der Serie aber nicht statt.
Auch
der politische Aktivismus der Protagonist*innen bleibt diffus. Zwar wird in den
transmedialen Erweiterungen gezeigt, wie sie sich für eine Fridays for Future
Demonstration vorbereiten oder ein Benefiz-Konzert für Geflüchtete
organisieren, in der Haupthandlung spielen diese Themen aber kaum eine Rolle. Für
welchen konkreten gesellschaftlichen Wandel sich die Figuren einsetzen, wird
weder in der Serie noch in den Erweiterungen konkret ausformuliert. Dies zeigt
sich auch beim Thema Alltagsrassismus: Vereinzelt äußern sich Passanten negativ
gegenüber der Hijab tragenden Amira und es wird plastisch gemacht, wie
sich Amira – die Hauptfigur der vierten Staffel – in diesem Moment fühlt. Eine weiterführende
Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus oder Islamophobie, die über den
konkreten Einzelfall hinausgeht, erfolgt aber nicht.
Distribution und Produktion
Die
Distribution ist eng verzahnt mit den Ereignissen der einzelnen Clips und Episoden:
Posts aus der fiktionalen Handlung setzen sich auf verschiedenen sozialen
Plattformen fort, wo die Figuren durch fiktive Profile vertreten sind. Durch
diese können neben den jeweiligen Hauptfiguren weitere Charaktere und
Figurenperspektiven der vergangenen Staffeln fortgeführt werden. Zu den
transmedialen Erweiterungen gehören die Funk-Plattform, der YouTube-Kanal zu Druck, Profile der Figuren auf Instagram,
eine Playlist auf Spotify und ein What’s-App- (später Telegram-) Newsletter,
mittels dem die Follower sich nicht nur updaten, sondern den Produzierenden
auch Kritik und Verbesserungsvorschläge mitteilen können.
Mit der
‚Echtzeit‘-Distributionsstrategie ist Druck,
wie die Vorlage Skam, auf eine
medienübergreifende und mobile Nutzung hin ausgerichtet und bestreitet neue
Wege gegenüber der wöchentlichen, linearen Ausstrahlung, aber auch gegenüber
dem von Netflix geprägten „binge-publishing model“ (Sundet 2018, 9). Zwar lässt
sich die Serie am Stück rezipieren
(wenn mehrere Folgen auf der korrespondierenden Webseite, auf der
Funk-Plattform oder auf dem zugehörigen YouTube-Kanal erschienen sind) oder in
der Regel wöchentlich am Freitag verfolgen. Zunächst werden einzelne Szenen
aber zur fiktiven ‚Echtzeit‘ publiziert. Einblendungen markieren den Zeitpunkt,
der sich aus den Charakteren und Geschichten, aber nicht mehr aus einem festen
Sendeschema ergibt. Auf der einen Seite erlebt das Publikum die Ereignisse
vermeintlich zeitgleich mit den Figuren mit, auf der anderen Seite zeitgleich
mit anderen ‚eingeweihten‘ Zuschauer*innen, die den kontinuierlichen Updates
folgen. Die ‚Echtzeit‘-Strategie kann daher sowohl Fan-Praktiken befördern als
auch eine Identifikation mit den Figuren stärken. In Kombination mit den fiktiven
Profilen und den unbekannten Darsteller*innen, deren tatsächliche Hobbys und
Vorlieben zum Teil in die Figurenzeichnungen einflossen, wird zudem eine
Authentizität suggeriert.
Druck baut
als Adaption somit auf den transmedialen Strategien des norwegischen Skam
auf, passt diese aber den veränderten Mediennutzungspraktiken der anvisierten
jungen Zielgruppe an. So werden narrative Erweiterungen nicht mehr auf
Facebook, sondern Instagram, What’s-App und später Telegram veröffentlicht und
die einzelnen Episodenfragmente sowie ganzen Episoden, nicht wie das
norwegische Original auf einer sendereigenen Homepage, sondern über einen separat
eingerichteten YouTube-Kanal distribuiert. Auf diesem fanden während der
Ausstrahlung auch regelmäßig virtuelle Release-Partys zu den einzelnen Folgen,
sowie auch Binge-Watching-Events statt, bei denen gemeinschaftlich die Serie
nochmal komplett geschaut werden konnte. Die Chat-Funktion von YouTube erlaubte
dabei einen zeitgleichen Austausch.
Während
der vierten Staffel, in der es auch um die Abiturprüfungen ging, konnten die
Abitur-Feierlichkeiten über Instagram-Stories aus weiteren, nicht in der Serie
gezeigten Perspektiven verfolgt werden. Dazu werden Figureneinführungen (und
auch Abschiede) über Instagram und What’s-App-Nachrichten arrangiert. Hans
(eine ab der zweiten Staffel regelmäßig auftretende Figur) wurde vor dem Start
der zweiten Staffel erstmals auf Instagram und den separat über das Smartphone
abzurufenden What’s-App-Chat-Protokollen gezeigt und der vorläufige Abschied
der Figur der Mia (die für ein Auslandsjahr nach Spanien geht) wird über What’s-App-Chat
Verläufe vorbereitet. Über Chat-Verläufe und einen auf YouTube veröffentlichten
Skype-Chat erfahren die Nutzer*innen auch mehr über ihre Erlebnisse in Spanien.
Über diese transmedialen Erweiterungen wird die Handlung der Serie also fortgesetzt
und erweitert.
Angaben
Staffeln:
4
Episoden:
10/10/10/10 (erste/zweite/dritte/vierte Staffel)
Episodenlänge:
ca. 15–36 Minuten
Erscheinungsrhythmus:
täglich/wöchentlich
Zuerst
gezeigt auf: YouTube und funk.net
Regie:
Pola Beck (erste – vierte Staffel), Jano Ben Chaabane (zweite Staffel), Tom
Lass (dritte Staffel), Chris Miera (dritte Staffel), Barbara Ott (vierte
Staffel), Luzie Loose (vierte Staffel)
Produktion:
Bantry Bay im Auftrag für funk
Jahr:
2018
Abrufbar
unter:
(Zugriff 02.09.2020)
Forschungsliteratur
Albert, Mathias/Hurrelmann,
Klaus/Quenzel, Gudrun (2019): Jugend 2019. Zwischen Politisierung und
Polarisierung. In: Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun (Hrsg.): 18.
Shell Jugendstudie: Jugend 2019 – Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim
und Basel: Beltz, S. 35–46.
Krauß, Florian/Stock, Moritz (Hrsg.): Teen TV. Repräsentationen,
Lesarten und Produktionsweisen aktueller Jugendserien. Wiesbaden: Springer VS.
Sundet, Vilde Schanke (2019): From ‘Secret’ Online
Teen Drama to International Cult Phenomenon. The Global Expansion of SKAM and
its Public Service Mission, in: Critical Studies in Television, Vol 15(I), S. 69–90.
Wegener, Claudia (2011): Der Kinderfilm. Themen
und Tendenzen. In: Schick, Thomas/Ebbrecht, Tobias (Hrsg.): Kino in
Bewegung: Perspektiven des deutschen Gegenwartsfilms. Wiesbaden: Springer
VS, S. 121–135.
(Moritz
Stock, 28.09.2020)