Drinnen - Im Internet sind alle gleich


von Martha-Lotta Körber // 


Die hypochondrisch veranlagte Charlotte Thielemann befindet sich in selbstgewählter Corona-Quarantäne und verbringt zwei Wochen weitgehend alleine im Homeoffice vor dem MacBook. In dieser Situation entgrenzter Arbeits- und Privatsphäre versucht die 35-jährige Werbeagentin  mittels digitaler Kommunikationskanäle stellvertretend für ihre tatsächlich an Covid-19 erkrankte Chefin eine Firma zu leiten, ihren vergleichsweise sorglosen Eltern und ihrer Schwester Constanze ins Gewissen zu reden und sich ihren Ehemann Markus vom Leib zu halten, da sie bereits seit Längerem intensiv über die Scheidung nachdenkt. Um den schlimmsten Lagerkoller zu verhindern, flirtet Charlotte nebenher mit Tinder-Matches und tauscht mit ihrer besten Freundin Lisa Videonachrichten aus. Parallel dazu verarbeitet sie außerdem den Unfalltod ihrer jüngeren Schwester Clara, der sie täglich Sprachnachrichten an ihren WhatsApp-Account schickt.


Genre

In vielerlei Hinsicht wirkt die Webserie als Komödie, insbesondere, was die um die Protagonistin Charlotte angesiedelten Figuren anbelangt, die tendenziell überzeichnet sind und dabei Züge des Lächerlichen tragen: Ihre Eltern können nicht mit digitalen Medien umgehen, ihr Psychotherapeut fängt während eines Videochattermins an zu weinen, ihre Schwester Constanze wohnt im thailändischen Urwald und versucht, Charlotte über Videochat mittels Räucherstäbchen den von ihr beklagten Kontrollzwang auszutreiben. ZDFneo selbst vermarktet die Webserie dezidiert als „Corona-Comedy“ und twittert: „Die Zeiten gerade sind schwierig und oft nicht zum Lachen. Wir versuchen es trotzdem #Coronakrise #Drinnen“.  


Abbildung: Screenshot aus Drinnen. Im Internet sind alle gleich.

Ästhetik und narrative Struktur

Die Ästhetik der Webserie ist durch die selbstreflexiven Perspektiven intradiegetisch verorteter Kameras, Desktopansichten und die Interfaces Sozialer Medien, verschiedener Webdienste und Programme geprägt, die Privatheit signalisieren und gleichzeitig von einem medial durchdrungenen Alltag zeugen. Visuell dominieren erstens eine statische Webcam-Ansicht, die Charlotte meist in einer Vlog-typischen halbnahen Einstellung in unterschiedlichsten Zuständen an ihrem Schreibtisch sitzend zeigt (im Hintergrund befindet sich ein Bücherregal und ein teilweise einsehbares Esszimmer); zweitens die unruhigere Smartphone-Kamera, mittels derer sie Videonachrichten an ihre Freundin Lisa aufnimmt und dabei von einem typischen Interface umrahmt wird; und drittens die Desktopansicht, die in einer Art point-of-view-shot Charlottes Google-Suchanfragen, WhatsApp- und Tinder-Chats, Videokonferenzen oder Spotify-Listen zeigt – ebenfalls in den charakteristischen 
Interfaces. Drinnen verzichtet ob der Quarantäne-Thematik dabei weitgehend auf Dialogsequenzen, die außerhalb digitaler Kommunikationskanäle stattfinden, sodass die Figuren der Serie im Wesentlichen im Videochat oder durch Textnachrichten repräsentiert und charakterisiert werden und dabei – mit Ausnahme von Charlottes Ehemann, der in Episode 11 heimkehrt – allenfalls als Bild (Videochatfenster) im Bild (Desktop) auftreten.

Abbildung: Screenshot aus Drinnen. Im Internet sind alle gleich.

Die gezeigten an digitalen Nutzungspraktiken orientierten audiovisuellen Mittel sind eng mit der narrativen Struktur der Webserie verzahnt. So beginnen die Episoden, die in 10 Minuten elliptisch jeweils einen Tag erzählen, nach einem kurzen Intro mit dem Starten des MacBooks, dem dazugehörigen charakteristischen ,Hochfahrgeräusch‘ sowie dem Einloggen mittels Passwort. Zuvor ist bereits ein Voiceover der Protagonistin zu hören, das sich – nachdem es anfänglich für einen intern fokalisierten Gedankenmonolog gehalten erden konnte – ab dem Ende der ersten Episode ebenfalls im intradiegetischen Handlungskosmos verorten lässt: Dabei handelt es sich um die Sprachnachrichten, welche Charlotte jeden Abend an ihre verstorbene Schwester Clara sendet. So wird mitunter die Illusion erzeugt, dass die Episoden aus authentischem Material bestehen, dabei aber das Paradox der ,Zusammenstellung‘ und Montage der pseudo-dokumentarischen Aufnahmen (vgl. Kuhn 2010, 28 f.) nicht diegetisch begründet. Ferner wird die Illusion privat aufgenommener Videofragmente auch jenseits der Montage unterlaufen, etwa wenn die Protagonistin von offenkundig in der Postproduktion editierten Textelementen ihres Desktops überblendet wird. Im Gegensatz zu manch anderer an einer Webcam-Perspektive orientierten Webserie – am prominentesten lonelygirl15 – ist der grundsätzlich fiktionale Charakter also immer erkenntlich. Am prägnantesten ist in diesem Zusammenhang ein von Charlotte an die Webcam gerichteter gegenwartskritischer Appell gegen Ende der letzten Episode, der die Zuschauer*innen mit einem kollektiven ,Wir‘ adressiert: 

„Bloß, weil wir ständig erreichbar sind, heißt das noch längst nicht, dass wir ständig verfügbar sein müssen [...]. FOMO, alle haben Angst, was zu verpassen, alles muss sofort sein, alles muss verfügbar sein, alles muss kostenlos sein, denn wir bezahlen mit unserer Zeit, mit der Zeit unserer Freunde, mit der Zeit unserer Familie, aber das macht ja nichts, wir haben ja neue Freunde, ganz viele, ganz tolle neue Freunde. Wir feuern mit ollautomatischen Triggerfingern Herzen direkt auf ihre Hypophyse, damit die Endorphine zwischen den Rezeptoren nur so hin- und herschießen […], aber ganz ehrlich, wen interessiert diese ganze Scheiße eigentlich?“ (E15, 09:08).


Abbildungen: Screenshots aus Drinnen. Im Internet sind alle gleich.


Die Protagonistin Charlotte wendet sich hier durch die Vierte Wand an die 
extradiegetischen Zuschauer*innen, visuell immer wieder unterbrochen von einer 
Montagesequenz, die unter anderem im Zeitraffer Symbolbilder der digitalen Mediennutzung und der angemahnten ,allgegenwärtigen Verfügbarkeit‘ demonstriert, teilweise mit Rückgriff auf neurobiologische Bildsprachen und Erklärmuster. Diese rücken die Mechanismen Sozialer-Medien-Nutzung einerseits in die Nähe von Drogenmissbrauch und erinnern andererseits an die idealisierte Selfie-Ästhetik von Stockphotos. Beides hat die beteiligte Produktionsfirma btf (bildundtonfabrik) bereits in ihrer Netflix-Serie How To Sell Drugs Online (Fast) implementiert.


Themen

Drinnen knüpft an die Alltagserfahrungen des ,Multitasking‘ im Homeoffice an, wie sie in Zeiten von Corona vielfach beklagt und diskutiert werden. Charlotte navigiert phlegmatisch durch Tinder, WhatsApp, digitale Teammeetings, To-Do-Listen und Ordner mit Familienfotos, und hat dabei mit stockenden Videochats und ihrer Chefin ebenso zu kämpfen wie mit Sorgen um ihren einer Risikogruppe zugehörigen Vater. Dabei scheint die Gleichsetzung aller Lebensbereiche und die Nivellierung unterschiedlicher Relevanzen durch die ,alles gleichmachende‘ mediale Infrastruktur zum eigentlichen Thema der Webserie zu avancieren, worauf bereits der vollständige Titel der Webserie (Drinnen – Im Internet sind alle gleich) schließen lässt. Insbesondere die Desktopansichten zeugen von diesem Differenzverlust und einer Entfremdung, etwa wenn Charlotte die Erinnerung daran, ihren Ehemann „Markus über [die] Scheidung [zu] informieren“, verschiebt und Punkte wie „Bücher nach Farben sortieren“ in ihrer akribisch geführten digitalen To-Do-Liste vorzieht.

Die selbstverständliche Omnipräsenz von Kamera- und Audioaufnahmetechnik – mittels derer die vermeintlich authentischen Aufnahmen entstehen, aus denen die Webserie größtenteils besteht – eröffnet zudem einen Überwachungsdiskurs. Die Zuschauerposition ist dabei tendenziell eine voyeuristische, und die Einsehbarkeit durch die vermeintlich ausgeschaltete Webcam knüpft an die verbreitete Sorge an, durch diese potenziell immer – auch in privaten Situationen – beobachtet werden zu können. In diesem Kontext werden abermals die in intimste Lebensbereiche vorgedrungenen digitalen Technologien zur Disposition gestellt, etwa wenn Charlotte den Raum verlässt, um zu masturbieren, und den Amazon-Sprachassistenten Alexa routiniert anweist, romantische Musik zu spielen, oder wenn suggeriert wird, dass ihr Ehemann Markus womöglich homo- oder bisexuell ist, da dieser vor dem MacBook sitzend heimlich Schwulenpornos ansieht.


Produktionsbedingungen

Bei Drinnen handelt es sich um ein – unter Corona-Bedingungen – kurzfristig und im Homeoffice realisiertes Webserienprojekt im Auftrag von ZDFneo, das im Wesentlichen in Lavinia Wilsons (alias Charlotte Thielemann) privater Wohnung in Berlin entstanden ist. Die Schauspielerin selbst schildert dazu im Interview mit tip Berlin: „Keiner wusste, wo die Reise genau hingeht. Und so fand ich mich bald darauf morgens um neun mit lauter wildfremden Menschen in einer Schaltung wieder und musste zuerst einmal einen Bildausschnitt finden in meinem Wohnzimmer, der 15 Folgen lang tragen konnte.“ Laut ZDF-Presseportal seien während des Drehs und der Postproduktion dabei „strengste[] Auflagen“ eingehalten und „die jeweils vor Ort geltenden behördlichen Regelungen […] an jeder Stelle berücksichtigt“ worden. Die erste Episode wurde am 03.04.2020 in der ZDF-Mediathek zur Verfügung gestellt, also nur rund drei Wochen nach Inkrafttreten der ersten bundesweiten Corona-Beschränkungen am 12.03.2020, die letzte, 15. Episode, am 25.04.2020.


Angaben

Staffeln: 1
Episoden: 15
Episodenlänge: 10 Minuten
Erscheinungsrhythmus: unregelmäßig, ein bis drei Tage Zuerst gezeigt auf: ZDF-Mediathek
Regie: Lutz Heineking Jr.
Produktion: btf GmBH (bildundtonfabrik) und eitelsonnenschein im Auftrag von ZDFneo
Autor*innen: Max Bierhals, Tarkan Bagci, Patrick Stenzel, Giulia Becker 
Jahr: 2020
Genre: Comedy


Abrufbar unter:

https://www.zdf.de/serien/drinnen-im-internet-sind-alle-gleich (Zugriff: 30.05.2020).


Forschungsliteratur

Kuhn, Markus (2010) Medienreflexives filmisches Erzählen im Internet: Die Webserie PIETSHOW. In: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung, Nr. 001, S. 19-40. 
http://www.rabbiteye.de/2010/1/kuhn_erzaehlen_im_internet.pdf (Zugriff: 30.05.2020).


Sonstige Quellen

Bert Rebhandl (tipBerlin) im Interview mit Lavinia Wilson: NEUE SERIE IM ZDF. Corona-Comedy- Serie „Drinnen“: Lavinia Wilson und das unsichtbare Chaos. https://www.tip-berlin.de/corona-comedy-serie-drinnen-lavinia-wilson-das-unsichtbare-chaos/ (Zugriff: 30.05.2020).

Homepage der Produktionsfirma btf GmbH (bildundtonfabrik): Portfolio. https://btf.de/portfolio/drinnen-im-internet-sind-alle-gleich/ (Zugriff: 30.05.2020).

Bundesregierung.de (22.03.2020) Bundesbeschluss zur „Erweiterung der beschlossenen Leitlinien zur Beschränkung sozialer Kontakte. Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder“. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besprechung-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-1733248 (Zugriff: 01.06.2020).

ZDF-Presseportal-Mitteilung (03.04.2020) „ZDFneo startet aktuelle Serie "Drinnen – Im Internet sind alle gleich" neorginal: Comedy und Liebe in Serie – trotz Kontaktbeschränkungen.“ https://presseportal.zdf.de/pressemitteilung/mitteilung/zdfneo-startet-aktuelle-serie-drinnen-im-internet-sind-alle-gleich/ (Zugriff: 01.06.2020).



(Martha-Lotta Körber, 12.06.2020)