Mali [Reihe: Webserien der Bundeswehr, Teil 2]


von Martha-Lotta Körber //


Mali erzählt in einem Stilmix aus Kriegsreportage, Reality-TV und V-Log vom Alltag deutscher Soldat*innen im und um das Camp Castor im gleichnamigen westafrikanischen Staat Mali. Dieser Alltag im Rahmen der sogenannten Minusma-Mission („United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali“) ist insbesondere von der Wartung der mitgebrachten Technik, militärischer Bürokratie und Logistik in einer – aus mitteleuropäischer Sicht – menschenfeindlichen Natur, Witterung und undurchsichtigen politischen Situation geprägt.

 

Dramaturgie und narrative Struktur

Die Webserie zeigt in 29 Episoden den Arbeitsalltag im Militärcamp, unweit der Stadt Gao, auf dem seit 2016 deutsche Soldat*innen stationiert sind. Im Sinne der Arbeitgebermarke Bundeswehr Exclusive, die dezidiert dem Anwerben von Bundeswehrnachwuchs dienen soll, liegt der Fokus dabei auf den ,authentisch‘ auftretenden Soldat*innen. „Bist du bereit für eine ECHTE Herausforderung? Folge unseren Kameradinnen und Kameraden in den Einsatz nach Mali und sei hautnah mit dabei!“, verspricht etwa die Videounterschrift unterhalb des Trailers auf YouTube und suggeriert den Einsatz so immersiv wie möglich und eng entlang der Soldat*innenperspektive zu erzählen. In diesem Sinne identifizieren Einblendungen die jeweils sprechenden Soldat*innen mit ihren Vornamen, teilweise sogar Spitznamen („Spriti“), um persönliche Nähe und Sympathie entstehen zu lassen. Die Erzählung konstituiert sich aus ihren zahlreichen, das Publikum hinter der Kamera adressierenden Aussagen, Gesprächsfetzen und Setting-Impressionen, verschränkt mit den sehr dominanten (extradiegetischen) Text-, Graphik- und auditiven Mitteln der Postproduktion.

 

Hintergrund und Themen

Beginnend mit der Abreise am Kölner Flughafen in der ersten bis zur ‚Rückreise‘ in der 29ten Episode kondensiert die Webserie in rund achtminütigen Folgen schwerpunktmäßig den mehrmonatigen Aufenthalt von acht Bundeswehrsoldat*innen auf der Militärbasis. Zentrale Themen sind die Arbeitsroutinen der Militärs, die damit zusammenhängende „Aufklärungstechnik“, Übungen, Fahrzeuge, Waffen, Materiallagerung, Sport, Ernährung, Hygiene, Hitze und Witterung, die sich auch in Gliederung und Episodentiteln niederschlagen, etwa „Der Sandsturm“ oder „Lagerleben“ heißen. Angesprochen werden so nebenher auch die Zuständigkeiten der Soldat*innen, etwa in einer „Material-Gruppe“ oder der „Kampfmittelbeseitigung“.

Die seit Beginn des Einsatzes 2013 bei Gao stationierten, rund eintausend Bundeswehrsoldat*innen sollen nach Aussage der Webserie die unter verminten Straßen und Selbstmordanschlägen leidende malische Zivilbevölkerung schützen und Sicherheitsstrukturen aufbauen, auch um den Menschenhandel in dem Transitland zu regulieren. Die Konfliktsituation kann und soll hier nicht erschöpfend dargestellt oder ausgiebig anhand der Webserie gespiegelt werden. Jedoch lässt sich in gebotener Kürze festhalten, dass in dem multiethnischen Staat nach dem Militärputsch 2012 zunehmend Machtkonflikte zwischen lokalen Eliten, Tuareg-Milizen und Dschihadisten ausgetragen werden, zum Teil motiviert durch finanzielle Interessen am florierenden Transsahara-Schmuggel (vgl. Wiedemann 2018). Ein UN-Einsatz (Minusma) und eine „EU-Ausbildungsmission“ folgten, aber auch noch Ende 2020 ist die Situation weder befriedet noch übersichtlicher geworden.

„Die Streitkräfte von Minusma dienen vor allem dem eigenen Schutz bzw. dem der Arbeit der zivilen Kom­ponenten“ schreibt Denis M. Tull für die Stiftung Wissenschaft und Politik (2020). Auch die Fachjournalistin Charlotte Wiedemann meint: „Die Deutschen gelten in Mali als Weltmeister im Selbstschutz“ (2018). Mit letzterer Aussage ließe sich auch ein Eindruck beschreiben, den die Webserie Mali hinterlässt. So sind es hier neben vereinzelten „Erkundungsfahrten“ schwerpunktmäßig das Beheben von Materialproblemen, Versorgungsengpässen und Sicherheitslücken, welche inhaltlich dominieren, etwa wenn sich ein Transportpanzer im Rahmen einer „Aufklärungsmission“ im Wüstensand festfährt und zügig befreit werden muss. Durchquerungen von Gebieten außerhalb des Camp Castor finden allenfalls vereinzelt und unter strengen Sicherheitsauflagen, mit Sturmgewehren bewaffnet und in Schutzmontur statt.


Ästhetik

Auf visueller Ebene kommt in Mali – wie bereits in der Vorgängerproduktion Die Rekruten – vielfach ein Fischaugenobjektiv zum Einsatz. Es fängt die Protagonist*innen ein, während sie einem nicht identifizierbaren Interviewer antworten, ihre Situation und konkreten Tätigkeiten schildern oder aber (sich) selbst in Selfie-Optik filmen. Visuell bestimmend sind außerdem eine hohe Schnittfrequenz, Wüstenflecktarn sowie der prägnante roströtlich-ockerfarbene Sand, der im Vorspann sowie den Szenen-Überblendungen aufgegriffen wird und als eine Art corporate design der Webserie fungiert. Die Sprechweise wirkt meist wenig gestellt, dafür den Kommunikationsroutinen der Soldat*innen untereinander entsprechend. Vielfach fallen dabei umgangssprachliche Wendungen à la „ohne Klimaanlage schlafen ist echt kacke.“


Abbildung: Screenshot aus Mali


Auffällig an Mali ist ferner die markante Postproduktion. An Messenger-Applikationen erinnernde Einblendungen geben spielerisch Aufschluss über die verwendete Militärsprache, übersetzen englische Fachtermini, geben Tageszeiten an oder kartieren das Gebiet des jeweiligen Settings, mitunter sogar unter Verwendung von Emojis. In zwischengeschnittenen Sequenzen werden insbesondere Autofahrten und Arbeitsroutinen im Camp eingefangen, begleitet von dominanter und häufig wechselnder elektronischer Musik. Sie beinhaltet in eklektizistischer Manier auch exotisierende Geräuschelemente wie einen verfremdeten Muezzin-Ruf im Intro jeder Folge, das wie die anderen Soundtracks aus den Webserien der Bundeswehr auf Spotify abrufbar ist. Die auditive Ebene ist also von elektronischer Musik dominiert und verzichtet beinahe gänzlich auf Rock, wie er in fiktionalen Kriegsfilmen und Serien – von berühmten Vietnamkriegsfilmen wie Apocalypse Now bis zu den neuen Kriegen in Jarhead, The Hurt Locker oder Generation Kill – eine lange und umfangreiche Tradition hat. 


Abbildung: Screenshot aus Mali.


In Episode 25, „Das größte Opfer“, wird der Absturz eines Kampfhubschraubers des Typs Tiger thematisiert, bei dem zwei deutsche Piloten starben. Dabei wird merklich mit der bisherigen Ästhetik der Webserie gebrochen. So äußern sich verschiedene, sichtlich emotional angegriffene Bundeswehr-Akteur*innen in stärker gerahmten Interviewsituationen. Verglichen mit den vorherigen und folgenden Episoden ist der Tonfall merklich ernster, auf elektronische Musik wird verzichtet, das Filmen der Absturzstelle wurde untersagt. Auf die Hintergründe des Vorfalls wird in der Folge auffallend wenig eingegangen, aus dem Unfallbericht und damit einhergehenden Berichterstattungen geht indes hervor, dass technische „Schlampereien“ am Hubschrauber maßgeblich gewesen seien.

 

Produktion, Distribution und Vermarktung

Die an Smartphone-Apps erinnernde Ästhetik der Einblendungen lässt sich im Rahmen des transmedialen Storytellings von Mali verorten, so korrespondiert die Webserie mit einem Facebook-Chatbot, der vermeintlich in Echtzeit aus dem Lager in Mali informiere und auf Fragen antwortete. Laut der produzierenden Werbeagentur Castenow handelte es sich hierbei um den „grösste[n] deutschsprachige[n] Chatbot“, welcher der „Zielgruppe“ ermöglichte „noch aktiver ins Geschehen im Camp einbezogen [zu werden] und […] den Einsatz hautnah [zu] erleben.“ Im Rahmen der Arbeitgeberkampagne Bundeswehr Exclusive versucht die Webserie Mali also – wie bereits ihre Vorgängerin Die Rekruten – insbesondere für eine junge Zielgruppe möglichst niedrigschwellig zugänglich zu sein, indem sie sich an ihre Kommunikationskanäle und -routinen anzupassen sucht. „Man bekommt so den Eindruck, als wenn ein Freund vor Ort dabei wäre und einen den Tag über Nachrichten teilt und das ist nochmal ein ganz anderes Erlebnis, um wirklich nah an dem Einsatz dabei zu sein“ erklärt dazu der „Beauftragte für die Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr“ Dirk Feldhaus im Deutschlandfunk

In der Bundespressekonferenz vom 13.10.2017 reagierte ferner Holger Neumann (BMVg) auf prüfende Nachfragen von Journalist*innen mit der Erklärung, dass Mali – zumindest implizit anders als Die Rekruten – einen „kritischen“ Blick auf den Soldat*innenberuf werfe:Wir haben vor, mit der Serie Mali den Alltag unserer Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz Minusma aus ihrer eigenen Perspektive darzustellen und wollen so ein möglichst realistisches und authentisches Bild von einem Einsatz der Bundeswehr zeigen […]. Hierzu gehört – das vielleicht zu dem Punkt Kritik, dass Die Rekruten nur etwas über die Grundausbildung darstellen – jetzt eben der Einsatz und auch, dass wir uns mit kritischen und ernsten Themen wie Verwundung und Tod auseinandersetzen.“ Dafür seien 6,5 Millionen Euro investiert worden, von denen ein Großteil – 4,5 Millionen Euro – in die Werbekampagne flossen und der kleinere Teil, rund 2 Millionen, in die Produktion der Webserie. Ein ähnliches Ungleichgewicht der Produktions- und Werbekosten zeigte sich ebenfalls bei der Vorgängerproduktion Die Rekruten.

 

Fazit

Der politische Hintergrund der Minusma-Mission wird nur am Rande und im Kontext eines knapp fünfminutigen „Specials“ abgehandelt: „Es ist einer der gefährlichsten Einsätze der Vereinten Nationen, wenn nicht der gefährlichste überhaupt, aber es ist wichtig, dass die Bundeswehr dort ist“, erklärt ein Voiceover-Sprecher im Duktus einer Reportage – und setzt damit den Ton der Webserie. Sie erzählt ,nah am Alltag der Soldaten‘ und gewährt einen außergewöhnlichen Einblick in gegenwärtige Außen- und Sicherheitspolitik, aber ohne eine umfangreichere Einordnung des Einsatzes mitzuliefern, dessen Sinnhaftigkeit angesichts der undurchsichtigen politischen Interessenlage kontrovers diskutiert, laut Expertise der Stiftung Wissenschaft und Politik außerdem von Teilen der lokalen Bevölkerung sogar abgelehnt und ob seiner Effizienz hinterfragt wird: „Die öffentliche Meinung in Mali steht der Mission sehr kri­tisch gegenüber. Sie moniert deren Passivi­tät und die Tatsache, dass den Blauhelmen die eigene Sicherheit wichtiger ist als der Schutz der Zivilbevölkerung […]. Rund 80% [der] militärischen Res­sourcen [von Minusma] gehen in die Sicherung der eigenen Infrastruktur und der Konvois, auf die die Mission angewiesen ist, um ihre Basen zu versorgen.Letztlich handelt es sich bei Mali filmwissenschaftlich betrachtet eben um keine journalistische Annäherung, sondern um ein komplexes Werbeformat, das sich bei unterschiedlichen Medienästhetiken und ihren Erzählmodalitäten bedient, allen voran jenen der Reportage, des V-Logs und des Reality-TV. All diese medialen Formen basieren schwerpunktmäßig auf der Glaubwürdigkeit der Figuren und ihrer Inszenierung, im Fall Mali jener der Soldat*innen. Wenn Rezipient*innen in den YouTube-Kommentarspalten also Soldat*innen rezitieren „,Döner wär geil‘! Haha bester Mann!“ oder loben „Der Typ ist mir mega Sympathisch [sic!] geworden direkt...Trotz heikler lage [sic!] immer noch Humor einbauen 😅“, lässt sich daraus schließen, dass es insbesondere diese und der sie authentifizierende Stil von Mali sind, die goutiert werden.


Angaben

Staffeln: 1
Episoden: 29
Episodenlänge: ~ 8 Minuten 
Erscheinungsrhythmus: wochentäglich
Zuerst gezeigt auf: YouTube
Regie: Bundeswehr/Castenow GmbH*
Produktion: Bundeswehr/Castenow GmbH*
Autor*innen: Bundeswehr/Castenow GmbH*
*(Nähere Auskünfte wurden auf eine explizite Anfrage nicht gegeben)
Produktionsland: Deutschland
Jahr: 2017
Sprache: deutsch
Genre: Realitysoap/Dokuserie/Werbung

 

Verfügbar unter:

https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIZGqcsRjKLc0WkPwIQZdT4T (Zugriff: 12.12.2020).

 

Übersicht weiterer Webserien von Bundeswehr Exclusive (nach Erscheinungsdatum):

Die Rekruten, 2016 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIao-vYD1K4rvhW4Hoav-ITq (Zugriff: 12.12.2020).

BIWAK – Vier Tage in Eis und Schnee, 2018 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIZ_Mbg5IgMFcHZhdt7cCvS7 (Zugriff: 20.08.2020).

Die Springer – Mach den Sprung deines Lebens, 2018 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIZKnd791pZiGcFndU39nGzh (Zugriff: 19.08.2020).

Unbesiegt – Die Kraft der Invictus Games, 2018 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIaXRsmt2FmcgRgZkXIeIeC9 (Zugriff: 20.08.2020).

KSK – Kämpfe nie für dich allein, 2018 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIb4uJTpTTDZ6QEumRgqJxMR (Zugriff: 19.08.2020).

Survival – 7 Offiziere. Eine Mission, 2019 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIZbjqxMrL87J2Y6d3vjtRmA (Zugriff: 20.08.2020).

Die Rekrutinnen – Folge uns in die Grundausbildung, 2019 [Webserie, YouTube], URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL0nyHde37tIY-EllG_FzO8WIbxEskWKnH (Zugriff: 19.08.2020).

 

Übersicht der Präsenz in Sozialen Medien (Auswahl):

Facebook-Seite Bundeswehr Exclusive (seit 2016), URL: https://www.facebook.com/BundeswehrExclusive/ (Zugriff: 19.08.2020).

Homepage, URL: https://www.bundeswehrkarriere.de/ (Zugriff: 19.08.2020).

Instagram-Seite (bundeswehrexclusive), URL: https://www.instagram.com/bundeswehrexclusive/ (Zugriff: 19.08.2020).

(Online-)Zeitschrift Im Visier (seit 2016), URL: https://www.bmvg.de/de/themen/personal/im-visier (Zugriff: 19.08.2020).

Podcast (Funkkreis. Der Podcast der Bundeswehr), URL: https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/funkkreis-podcast-bundeswehr (Zugriff: 19.08.2020).

Snapchat (bundeswehrjobs), URL: https://www.snapchat.com/add/bundeswehrjobs (Zugriff: 20.08.2020).

Spotify (Playlist’s zu den Webserien), URL: https://open.spotify.com/artist/1itbdr2aLs6kQBi95jMgNn?si=mqQiqAbaQRC9ezdQoy6yhw (Zugriff: 19.08.2020).

YouTube-Kanal Bundeswehr Exclusive (seit 2016); URL: https://www.youtube.com/channel/UCZPAni75bkLnjGO8yhuJpdw (Zugriff: 19.08.2020).

 

Sonstige Quellen

Szymanski, Mike (2019): Unfallbericht legt tödliche Fehler offen. Süddeutsche Zeitung, URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/mali-bundeswehr-absturz-unfallbericht-1.4277608 (Zugriff: 12.12.2020).

Tull, Denis M. (2019): VN-Peacekeeping in Mali. Anpassungsbedarf für das neue Minusma-Mandat. SWP-Aktuell, 2019/A 23, April 2019. [Publikation der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik], URL: https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A23/ (Zugriff: 12.12.2020).

Tull, Denis M. (2020): Deutsches und internationales Krisenmanagement im Sahel. Warum sich die Diskussion über die Sahelpolitik im Kreis dreht. SWP-Aktuell, 2020/A 43, Juni 2020. [Publikation der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik], URL: https://www.swp-berlin.org/publikation/deutsches-und-internationales-krisenmanagement-im-sahel/ (Zugriff: 12.12.2020).

Wiedemann, Charlotte (2018): Mali am Abgrund: Fünf Jahre Militärintervention. Blätter für deutsche und internationale Politik ,5/2018. S. 64-70.

 

(Martha-Lotta Körber, 27.12.2020)