Skam España

 

von: Nadine Simon

 

Skam España ist die spanische Adaption der norwegischen Coming-of-Age-Webserie Skam (Julie Andem, NO 2015) und reiht sich somit in die zahlreichen länderspezifischen Adaptionen des Originals ein (vgl. Druck, Skam Austin, Skam NL, Skam Italia, Skam France). In vier Staffeln mit jeweils acht bis zwölf Folgen widmet sich die Serie Themen, die dem Teenpic bzw. Coming-of-Age zuzuordnen sind, darunter die erste Liebesbeziehung, sexuelle Begegnungen, Mobbing im Schulkontext, Freundschaften und Konflikte. Die von Begoña Álvarez und José Ramón Ayerra für das Pay TV-Unternehmen Movistar Plus+ realisierte Serie feierte am 16. September 2018 Premiere, die letzte Episode der vierten Staffel erschien am 24. Oktober 2020 auf der Plattform Movistar Plus+ sowie später bei YouTube.

 

 

Thematische und narrative Struktur 

 

Die erste Staffel enthält elf Folgen, sowie eine zusätzliche Bonusfolge, welche jedoch erkennbar außerhalb der in sich abgeschlossenen Handlung steht. Die Episoden weisen meist eine Länge von 20­–26 Minuten auf, die kürzeste umfasst 17 Minuten, die längste erstreckt sich über 30 Minuten. Die zweite bis vierte Staffel beinhalten jeweils zehn, neun und acht Episoden, mit einer Laufzeit von durchschnittlich ebenfalls knapp 25 Minuten je Folge.

Die vier Staffeln kennzeichnen sich (Skam-typisch) durch einen Wechsel der Protagonistinnen, wobei alle aus der in der ersten Staffel vorgestellten Freundesgruppe um die dort etablierte Protagonistin Eva stammen. So ist die Protagonistin der zweiten Staffel Evas Freundin Cris, die der dritten Staffel Nora (und Viri) und die der vierten Amira. Hierbei gibt es in jeder Staffel einen neuen thematischen Schwerpunkt, während die Zuschauer:innen alle Protagonistinnen über den Zeitraum eines Schuljahres begleiten.

Die erste Staffel: Eva ist 15 Jahre alt und in einer Liebesbeziehung mit ihrem Schulkameraden Jorge. Die Handlung setzt nach den dreimonatigen Sommerferien und somit zu Beginn eines neuen Schuljahres ein. Den Zuschauer:innen wird Eva als eine schüchterne Außenseiterin vorgestellt, die aus zunächst unklaren Gründen all ihre vorherigen Freund:innen verloren hat, aber in den ersten paar Tagen des neuen Schuljahres durch das Engagement einer neuen Mitschülerin neue Freundschaften schließt. So gründet Viri als neue Klassensprecherin eine Gruppe, um eine Abschlussfahrt nach Mallorca zu organisieren, an der sich Eva, Nora, Cris und Amira beteiligen. Die zunächst sehr distanziert wirkenden Begegnungen, die teilweise auch in hitzigen Diskussionen bezüglich der Abschlussfahrt enden, entwickeln sich bald zu einer innigen Freundschaft der fünf Mädchen. 

 

 

 


Abbildung 1: Screenshot aus Skam España (Staffel 1, Episode 3)

 

Die übergreifende Thematik der gesamten Staffel bildet die Beziehung zwischen Eva und Jorge: Eva wird als unsichere Figur erzählt, die ein großes Misstrauen gegenüber ihrem Partner hegt. So glaubt sie beispielsweise, dass Jorge sie mit einer Mitschülerin betrügt. Auch das Verhältnis zu Jorges männlicher Freundesgruppe belastet die Beziehung: Jorge sagt des Öfteren Treffen mit Eva ab, da er lieber mit seinen Freunden gemeinsam an der Videospielkonsole spielt. Die Beziehung ist von zahlreichen dieser Konflikte geprägt, das Ganze gipfelt auf einer Party von Evas Freundin Nora in einem Kuss zwischen Eva und einem Mitschüler. Neben den Schuldgefühlen nach dieser Situation belastet daraufhin auch der Umgang der Mitschüler:innen mit ihr Eva mental: Eine Person – später bekennt sich ihre Freundin Viri – hat ein Foto von dem Kuss gemacht, woraufhin Eva Opfer einer nicht zu enden scheinenden Onlinemobbing-Attacke wird. Tagtäglich werden Memes mit ihrem Gesicht geteilt, sie wird in der Schule ignoriert und angestarrt und ist fortan nur noch als „puta“ (Hure) bekannt. Ihre Freundinnen verurteilen dies scharf und die verantwortliche Viri entschuldigt sich in der letzten Folge der Staffel. Jorge und Eva trennen sich, kommen sich jedoch zwischenzeitlich auch wieder näher. Am Ende der Staffel ist Eva in ihrer Persönlichkeit deutlich reifer und hat sich zu einer selbstsicheren Person gewandelt. So beendet sie die On-Off-Beziehung mit Jorge und betont, dass sie sich auf sich selbst und ihre Zukunft konzentrieren möchte.

 

Neben diesem übergeordneten Handlungsstrang setzt jede Folge ein weiteres einzelnes Ereignis als besonderen Schwerpunkt. So planen die Freundinnen ein Annähern an die beliebten Schüler:innen, um so mehr Leute für ihre Abschlussfahrtsplanung zu begeistern. Die Zuschauer:innen sehen die Freundesgruppe um Eva auf zahlreichen Partys, den vorrangigen Schauplatz bildet jedoch die Schule mit den zugehörigen Örtlichkeiten, wie dem Sportplatz oder dem Pausenhof. Selten sieht man die Protagonistin als auch die Nebenfiguren an anderen Orten, wodurch sich eine Art eigener narrativer Kosmos aufbaut und den Fokus eindeutig auf den Ort Schule und die soziale Rolle der Schülerin legt. Gelegentlich sieht man Eva ebenfalls in ihrem Jugendzimmer, jedoch fast nie in Anwesenheit ihrer Mutter, die lediglich zu hören, und nur in einer Szene zu sehen ist. Auch andere erwachsene Figuren werden nie gesondert eingeführt, beispielsweise werden Lehrer:innen nur in kurzen Momenten und stets in einer unsympathischen Inszenierung als strenge Autoritätspersonen sichtbar. Dies unterstreicht den Teenpic-Charakter der Serie, da hierdurch die emotionale Abnabelung von Erwachsenen, als auch die teilweise herrschende Einsamkeit der Pubertät verdeutlicht werden. 

 

Die zweite Staffel dreht sich um Cris, mit einem besonderen Fokus auf ihrer Sexualität. Cris lernt eine Schulkameradin kennen, und zwischen den beiden entwickelt sich eine Liebesbeziehung. Diese Liebesbeziehung ist jedoch insbesondere zu Beginn von zahlreichen Konflikten geprägt: Cris ist sich sehr unsicher, ob sie tatsächlich romantische Gefühle für eine Frau empfindet, da sie bisher ausschließlich mit Jungs zusammen war. Ihre Sorgen vertraut sie zudem niemandem an, insbesondere nicht ihren konservativen Eltern, die sie stets ermahnen, bessere Noten in der Schule zu schreiben. Die Beziehung zu ihrer Schulkameradin und späteren Freundin Joana gestaltet sich zudem ebenfalls nicht leicht, da diese ihr über einen längeren Zeitraum nicht offenbart, dass sie an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankt ist und so zum Teil mehrere Tage unerreichbar in einer Klinik ist. Cris hadert mit sich, beschließt am Ende jedoch, auch im engen Austausch mit ihren Freundinnen, denen sie mittlerweile ihre Sexualität offenbart hat, dass sie mit Joana zusammenbleiben möchte. 

 

In der dritten Staffel wird Nora thematisiert. Nora stammt aus einer wohlhabenderen Familie, die zuvor bereits längere Zeit in den USA gelebt hat. Ihre ältere Schwester Emma, welche in New York arbeitet, besucht die Familie in Madrid, allerdings geht sie häufig aus und betrinkt sich dabei. So erfahren die Zuschauer:innen, nachdem Nora sie betrunken in einem Industriegebiet vorfindet, dass Emma in den USA, nachdem ihr K.O.-Tropfen zugeführt wurden, sexualisierte Gewalt erfahren hat. Zu Beginn der Staffel trennt Nora sich von ihrem Partner Alejandro und lernt den Studenten Miquel kennen. Die Beziehung erscheint ,perfekt‘, entpuppt sich jedoch bald als dysfunktional. Nora verändert sich stark, was auch ihren Freundinnen auffällt. Sie traut sich nicht, weiter mit ihren Freundinnen auszugehen und Miquel verbietet ihr Kontakt zu anderen männlichen Personen. Nora erkennt am Ende das Problem und trennt sich von Miquel. Sie versöhnt sich mit Alejandro, mit welchem sie in der vierten Staffel wieder zusammenkommt. Erwähnenswert ist, dass es mehrere Extrafolgen der dritten Staffel mit Fokus auf die Figur Viri gibt, die zuerst allerdings nur auf der kostenpflichtigen Plattform Movistar+ veröffentlicht wurden, mittlerweile jedoch ebenfalls bei YouTube verfügbar sind. Zu den weiteren Staffeln gibt es ebenfalls Extramaterial, dies ist jedoch nicht (mehr) frei verfügbar. Viri gibt sich bei ihren Freundinnen stets als sehr glückliche Person, die jedoch ihren Freundinnen nicht die Wahrheit über ihre Eltern und ihren Wohnort erzählt, da sie sich schämt. Die Zuschauer:innen lernen, dass sie in einem ärmeren Viertel Madrids in einer kleinen Wohnung lebt und ihre Eltern starke Geldsorgen haben. Der Vater ist schon längere Zeit arbeitslos und die Mutter arbeitet als wenig verdienende Putzkraft. Als die fünf Freundinnen das Geld für die ursprünglich geplante Klassenabschlussfahrt beisammenhaben, nimmt Viri kurzerhand das Geld und überweist es ihrer Mutter, um die finanzielle Not zu überbrücken. Dies führt kurzzeitig zu einem Konflikt in der Freundesgruppe, dieser löst sich jedoch auf. Viri beginnt zudem eine Liebesbeziehung mit ihrem Schulkameraden Hugo. 

 

Die letzte Staffel thematisiert die junge Muslima Amira. Amira ist eine stolze Muslima, die sich u.a. in einer Gemeinschaft für junge Muslima und Muslime engagiert. Die Zuschauer:innen sehen, welchen Alltagsrassismus sie erleben muss, insbesondere an der Schule. Thematischer Schwerpunkt ist jedoch Amiras Zerrissenheit zwischen Islam und Liebesbeziehung. Sie ist schon längere Zeit in Cris' älteren Bruder Dani verliebt, und dieser auch in sie. Die beiden beginnen eine Beziehung, jedoch ohne körperlichen Kontakt. Amira sehnt sich nach Kontakt und überlegt zwischenzeitlich, ihren Hijab abzulegen. Sie hat viele Gespräche mit Dani und nach langer Zeit entschließen die beiden, die Beziehung im Guten zu beenden. Auch Homophobie im Islam spielt eine Rolle, da der Bruder einer Freundin von Amira homosexuell ist, jedoch versehentlich geoutet wird. 

 

Erwähnenswert ist, dass in jeder Staffel zwar eine Figur einen besonderen Fokus hat, die Handlungsstränge der anderen Freundinnen jedoch ebenfalls immer weitererzählt werden. So erfahren die Zuschauer:innen vor allem durch Gespräche der Freundinnen untereinander auch immer Neuigkeiten aus dem Leben der Anderen. 

 

Die Serie behandelt unaufgeregt und nahbar die Themen, die in einer bürgerlichen, ,gut behüteten‘ jugendlichen Lebenswelt eine Rolle spielen können (und es im Teenpic häufig tun). Hierzu gehören – neben den übergeordneten Themenkomplexen Selbstbewusstsein, soziale Anerkennung, Freundschaften und Liebesbeziehungen – auch sexuell übertragbare Krankheiten, Streitigkeiten zwischen den Eltern, oder Homosexualität. Die Realitätsnähe einer jugendlichen Lebenswelt wird durch den Einsatz von Smartphones bzw. den Sozialen Medien unterstützt. Das Kommunizieren der Figuren untereinander via Smartphone ist fester Bestandteil der Handlungsebene und wird somit auch (wie bereits im Original Skam) durch Inserts auf der visuellen Erzählebene verankert. 

 

Abbildung 2: Screenshot aus Skam España (Staffel 1, Episode 9) 

 

Die Serie zeigt sich als feministisch, modern und weltoffen, indem sich die Protagonist:innen klar gegen Homophobie, sexualisierte Gewalt und Diskriminierung positionieren. Gleichzeitig behandelt sie aber auch die Problematiken, die diese Positionierungen einnehmen da bspw. die Eltern oder die Schule eine konservative Haltung innehaben und homophobe als auch islamophobe Äußerungen tätigen. Die Serie versucht nicht zu belehren, sondern zeigt vielmehr die Lebensrealität von diversen Figuren, die ein breites Spektrum an Thematiken abdecken. Die Identifikation mit der Realität der jungen Zuschauer:innen ist gelungen: So berichten mehrere YouTube-Kommentator:innen, dass sie sich durch die Serie repräsentiert und verstanden fühlen. Auch die unterschiedliche Darstellung von funktionierenden und nicht funktionierenden Liebesbeziehungen unterscheidet sich mit Blick auf die Diversität und Komplexität der Figuren als auch der Handlung stark von der heteronormativen Darstellung vieler Coming-of-Age-Filme, insbesondere amerikanischer Highschool-Filme, in denen die jungen Frauen erst glücklich zu sein scheinen, wenn sie mit dem populären Jungen der Schule zusammen sind (vgl. The Kissing Booth, Vince Marcello, USA 2018; Sierra Burgess is a Loser, Ian Samuels, USA 2018). In Skam España wird durch Eva und Amira gezeigt, wie sie sich nach dem Beenden einer Liebesbeziehung weiterentwickeln. Auch queere Beziehungen werden durch Cris und Lucas dargestellt.

 

 

Ästhetik

 

Die erste Staffel kennzeichnet sich durch eine klare Zentrierung der Protagonistin Eva, welche die gesamte Staffel dominiert. Dies wird auch durch die Kamera vermittelt, welche auch in Situationen, in denen eine gesamte Gruppe sich im Gespräch befindet, stets nur Eva fokussiert. Auch in den weiteren Staffeln lässt sich dies beobachten; es wird in genannten Situationen fast ausschließlich die jeweilige Protagonistin der Staffel fokussiert. Im Allgemeinen verhält sich die Kamera jedoch nicht besonders auffällig, sowie die gesamte visuelle Ästhetik, was sich vor allem durch konventionelle Einstellungsgrößen, Kamerabewegungen und Schnitte zeigt.

 

Auffällig ist ein Bruch der vierten Wand am Ende der letzten Folge der letzten Staffel, wo alle Protagonist:innen sich gegenseitig einen Kuss auf die Wange geben, Amira, die Protagonistin der Staffel, jedoch der Kamera einen Kuss zuwirft. Dies wird in der Handlung nicht weiter eingeordnet und kann als ein Abschied bzw. eine Danksagung an die Zuschauer:innen betrachtet werden.

 

Auf auditiver Ebene ist der markante Einsatz von Pop-Musik erwähnenswert. So wird die Szene von Alejandros erstem Auftritt in der Serie (s. Abbildung 3) auf beinahe ironische Weise mit Lady Gaga's „Alejandro“ untermalt. 

 

 

Genre

 

Die Webserie wird auf IMDb unter „Drama“ sowie „Liebesfilm“ geführt, jedoch ist dies, wie zuvor schon angedeutet, keine ausreichende Klassifizierung, gemessen an den in der Serie behandelten Thematiken. So wird beispielsweise in der ersten Staffel zwar die Liebesbeziehung zwischen Eva und Jorge in den Vordergrund gerückt, jedoch widmet sich die Serie auch anderen Fragen und Problematiken, welche für das Alter der dargestellten Figuren potentiell von besonderer Relevanz sind. Skam España lässt sich klar als Teenpic- bzw. Coming-of-Age-Erzählung einordnen, was bereits durch das Alter der Protagonistinnen (15-16 Jahre) nahegelegt wird. Aber nicht nur die Darstellung der Jugendlichen insgesamt, sondern auch die Entwicklung der Protagonistinnen ist bezeichnend für das Genre: Die zuvor unsichere Eva begegnet in Staffel 1 immer wieder Konflikten, ist Streitereien, Mobbing und Beziehungsproblemen ausgesetzt, bis sie jedoch am Ende der Staffel diese Probleme löst und anerkennt, dass sie sich um sich selbst kümmern möchte. Sie scheint ,zu sich gefunden‘ und den Wert ihrer Freundschaften erkannt zu haben. So äußert sie in der letzten Folge (Episode 11) im Gespräch mit Jorge: „Was ich jetzt brauche, ist Zeit, um über alles nachzudenken, was nicht du bist. Um über meine Freunde nachzudenken, was ich studieren möchte, und aufhören, jede scheiß Sache, die ich tue, zu bereuen. Ich brauche Ruhe, für einige Zeit. Ich weiß nicht. Und ich muss mich selbst etwas lieben“ (Anm.: frei übersetzt aus dem Spanischen). So sind vor allem die gezeigten Selbstfindungsprozesse, die eine Figur im Laufe einer Serie bzw. Staffel durchläuft, besonders typisch für das Coming-of-Age-Genre: 

 

„Es handelt sich um Situationen, in denen Jugendliche vor Entscheidungen gestellt werden, an denen sie wachsen und erwachsen werden müssen. In einer episodischen Erzählung organisiert, erzählen Jugendfilme von Identitätsfindungsprozessen, die sich grundtypisch [...] als Reise der Selbstfindung [...] ausdrücken, bei denen es sich genauso um sportliche Wettkämpfe handeln kann wie um Mutproben, Trinkspiele oder erste sexuelle Erfahrungen“ (Schumacher 2013: 306. Anmerkung: Schumacher nutzt den Begriff des Jugendfilms synonym zur Coming-of-Age-Geschichte).

 

Typisch für das Genre ist zudem die Figurenkonstellation.  So werden durch Eva und ihre Freundesgruppe die stereotypischen „Außenseiter“ der Schule repräsentiert; als Gegenpart wird Evas ehemalige beste Freundin Inés als ihre „Feindin“ inszeniert. Zusätzlich ist eine Gruppe von populären Mitschülern zu nennen, welche dem Stereotyp der „Bullies“ entsprechen und sich vor allem durch dominantes und angsteinflößendes Verhalten kennzeichnen. Es wird eine Diskrepanz zwischen populär und nicht-populär dargestellt. So werden die populären Schüler:innen durch Close-Ups und Zeitlupenaufnahmen inszeniert, wenn sie bspw. das Schulgebäude betreten (vgl. Abbildung 3), häufig in Kombination mit einem Gegenschuss, welcher die nicht-populäre Freundesgruppe um Eva zeigt, wie sie teils bewundernd, teils verächtlich die Personen wahrnimmt. Die populären Schüler:innen werden als solche also durch insbesondere typische Inszenierungsweisen markiert, wie man sie aus amerikanischen Highschool-Filmen kennt: Die „popular girls“ betreten das Schulgebäude und werden von allen anderen bestaunt, sie gehen raumeinnehmend in der Mitte des Ganges wohingegen Eva und ihre Freundinnen sich am Rande des Flures aufhalten. Die Freundesgruppe ist sich zudem darüber bewusst, dass sie nicht viel freundschaftlichen Kontakt zu anderen pflegt, da sie in der ersten Staffel betonen, dass sie das Geld für die Abschlussreise nicht gesammelt bekommen, wenn sie nicht bekannter werden und Anschluss finden. Dies geht so weit, dass sie sich gegenseitig anstiften, auf Parties zu gehen und zu flirten, um so auf ihr Reiseprojekt aufmerksam zu machen. Die Unterscheidung zwischen populär und nicht-populär scheint ab der zweiten Staffel jedoch keine bedeutende Rolle mehr zu spielen: Die Zuschauer:innen sehen, dass sich mittlerweile zahlreiche Schüler:innen für das Projekt begeistern und die fünf Freundinnen ebenfalls mit zahlreichen Mitschüler:innen interagieren. Bezeichnend ist zudem die Inszenierung von Figuren, welche die Protagonist:innen attraktiv finden: So ist Viri in den gut aussehenden „Bad Boy“ Alejandro verliebt, sie hat jedoch als Außenseiterin zu Beginn keinerlei Chance. Diese zum Teil stark überzeichneten Darstellungen, untermalt durch bekannte Popsongs wie idontwannabeyouanymore von Billie Eilish, erinnern auch hier stark an amerikanische High School Filme/Serien.

 

 

Abbildung 3: Screenshot aus Skam España (Staffel 1, Episode 1) – Viri sieht Alejandro das erste Mal durch ein Fenster der Schule  

 

Vermarktung 

 

Die Serie wurde für die in Spanien sehr populäre Pay TV-Plattform Movistar Plus+ produziert (vergleichbar mit WOW – ehemals Sky Deutschland), wodurch bereits eine Vermarktung durch den Ort der Veröffentlichung stattfand. Die explizite Vermarktung für die erste Staffel lässt sich im Nachhinein schwer rekonstruieren, auch die Website der Serie ist leider nicht mehr verfügbar. Es gibt ebenfalls keinen offiziellen Instagram-Account. Die Serie ist weiterhin über die offizielle Movistar Plus+-Plattform verfügbar, die zweite bis vierte Staffel ebenfalls auf dem Movistar YouTube-Kanal.

 

Neben den offiziellen Plattformen bzw. Websites gibt es jedoch zahlreiche Fansites, wie bspw. das Fanwiki (verfügbar auf Englisch und Spanisch) oder eine der populärsten Fanpages auf Instagram mit ca. 112.000 Followern.

 

Die Veröffentlichung der ersten Staffel lässt sich ebenfalls nicht rekonstruieren, ab der zweiten Staffel werden die Clips jedoch in einer nachgeahmten Echtzeit, wie für alle anderen Skam-Adaptionen üblich, auf dem YouTube-Kanal veröffentlicht. So wurde beispielsweise an einem Mittwoch um 10:17 ein Clip von vier Minuten Länge veröffentlicht, welcher dementsprechend nur eine einzelne Szene enthält. Diese Art der Veröffentlichung suggeriert eine Liveness der Handlung, da Szenen zu den entsprechenden Uhrzeiten stets dem groben Tagesablauf einer Schülerin entsprechen. So sind die Clips am Vormittag in der Schule verortet, wohingegen wir sie nachmittags auf dem Sportplatz oder beim Lernen sehen.  

 

 

 

Mediale Umgebung 

 

Im Gegensatz zu Skam und verschiedenen Skam-Adaptionen eröffnet Skam ES keine besondere Form der Interaktion, abgesehen von den YouTube-spezifischen Interaktionsmöglichkeiten. So gibt es keine fiktiven Instagramprofile der Protagonist:innen, wie bei der deutschen Webserie DRUCK; ebenso wenig Behind-the-scenes-Material. Jedoch werden die offiziellen YouTube-Videos zahlreich kommentiert. Der Wunsch nach Interaktion manifestiert sich ebenfalls in der Vielzahl an Fanpages sowie dem Fanforum. Die Serie bildet also nicht nur den Austausch Jugendlicher untereinander durch Smartphones und Social Media ab, sondern ist transmedial ebenso ein Teil davon. Florian Krauß und Moritz Stock beschreiben dieses Phänomen mit Blick auf das norwegische Original SKAM und die deutsche Adaption DRUCK:

 

Über Soziale Medien breitet sich diese besondere zeitgenössische Jugendnarration aus, suggeriert eine ‚Authentizität‘ und fließt in der Konsequenz in den Alltag der Zuschauer*innen ein. Im aktuellen Fernsehen und seinen medialen Ausweitungen zeigt sich gerade der Jugendbereich als besonders experimentierfreudig, was transmediale Distributions- und Erzählweisen und die Integration von Sozialen Medien anbelangt (Krauß/Stock 2021: 10).

 

 

Rezeption 

 

Bei YouTube und auf Fanpages auf Instagram finden sich zahlreiche Kommentare, die die Serie loben und sich eine neue Staffel wünschen. Auch die Inhalte der Serie werden stark diskutiert. Auf IMDb erzielte die Serie einen Score von 7,4 (von 10 möglichen Punkten). Dass die Serie sehr beliebt ist, ist auch an den Klickzahlen der YouTube-Videos erkennbar. So hat bspw. der erste Clip der dritten Staffel 2,2 Millionen Klicks.

Die Serie gewann außerdem einen Award des CIMA TV FesTVal (Premio CIMA TV FesTVal de Vitoria a la Igualdad 2020).

 

 

Fazit

 

Die Serie reiht sich in die übrigen Skam-Adaptionen ein und bietet aufgrund der zahlreichen Genreelemente ein gutes Beispiel für eine Coming-of-Age-Webserie. Skam España Serie richtet sich gezielt an ein junges Publikum und bietet aufgrund der Veröffentlichung und der Darstellung in „Echtzeit“ ab der zweiten Staffel ein besonderes Identifikationspotential. Die Klickzahlen als auch die zahlreichen Forumsbeiträge belegen den Erfolg der Serie. Interessant ist vor allem, dass sich die Serie durch die Diversität der Figuren als auch durch die Handlungskonzepte insbesondere von Coming-of-Age bzw. Highschool-Filmen (der 2000er-Jahre) abhebt, jedoch teilweise die typischen Tropen, Ästhetisierungsmerkmale und Figureninszenierungen jener Produktionen aufgreift.



Angaben

 

Staffeln: 4 (abgeschlossen)

Episoden: Staffel 1: 12 Episoden; Staffel 2: 10 Episoden; Staffel 3: 9 Episoden; Staffel 4: 8 Episoden

Episodenlänge: 20-30 Minuten

Erscheinungsrhythmus: Staffel 1 nicht rekonstruierbar; Staffel 2–4: täglich ein Clip auf dem YouTube-Kanal

Produktion: MovistarPlus+

Jahr: 2018–2020

Genre: Teenpic, Coming-of-Age, Drama, Queer

Abrufbar unter: Movistar Plus+ (kostenpflichtig, ggf. nicht in Deutschland verfügbar); YouTube Movistar Plus+  

 

 

Literatur

 

Krauß, Florian/ Stock, Moritz (2021): Teen TV. Repräsentationen, Lesarten und Produktionsweisen aktueller Jugendserien. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Schumacher, Julia (2013): Jugendfilm. In: Kuhn, Markus et. al. (2013): Filmwissenschaftliche Genreanalyse. Eine Einführung. Berlin/Boston: DeGruyter. 295–314.

 


 

 (Nadine Simon, 06.09.2022).